Die Gelehrten der Scheibenwelt
gelten. Kleine Gaswolken sind nicht massereich genug, um unter der Schwerkraft auf die richtige Art in sich zusammenzustürzen, aber magnetische Effekte könnten bewirken, daß eine rings um einen Stern kollabierende Gaswolke aufbricht und fortgeschleudert wird, ehe sich die Planeten vollständig gebildet haben. Oder vielleicht sind diese Planeten auf die übliche Art entstanden, dann aber aus ihren Sonnensystemen ausgestoßen worden.
Die Zukunft des Sonnensystems ist mindestens ebenso interessant wie seine Vergangenheit. Das Bild vom Sonnensystem, das sich aus den Ideen Newtons und seiner Zeitgenossen ergab, hatte sehr viel von einem Uhrwerk-Universum – einer himmlischen Maschine, die, einmal in Gang gesetzt, immer denselben einfachen mathematischen Regeln folgen und fröhlich bis in alle Ewigkeit weiterticken würde. Man baute sogar Himmelsmaschinen, Astrolabien genannt, mit Zahnrädern in großen Mengen, in denen kleine Messingplaneten mit Elfenbeinmonden immer rundum liefen, wenn man eine Kurbel drehte.
Wir wissen jetzt, daß das kosmische Uhrwerk durcheinandergeraten kann. Es wird nicht bald geschehen, aber möglicherweise kommen ein paar große Risiken auf das Sonnensystem zu. Der Grund, der dahinter steht, ist das Chaos – Chaos im Sinne der ›Chaostheorie‹ mit all diesen komischen mehrfarbigen ›fraktalen‹ Dingen, eines rapide expandierenden Gebiets der Mathematik, das in alle anderen Wissenschaften eindringt. Das Chaos lehrt uns, daß einfache Regeln nicht notwendigerweise zu einfachem Verhalten führen – etwas, was Ponder Stibbons und die anderen Zauberer gerade im Begriff sind zu entdecken. Einfache Regeln können nämlich zu einem Verhalten führen, das in gewisser Hinsicht deutliche Elemente des Zufalls enthält. Chaotische Systeme verhalten sich anfangs vorhersagbar, doch nachdem man einen gewissen ›Vorhersagehorizont‹ überschritten hat, versagen alle Vorhersagen. Das Wetter ist chaotisch und hat einen Vorhersagehorizont von etwa vier Tagen. Das Sonnensystem ist chaotisch, wie wir jetzt wissen, und sein Vorhersagehorizont liegt bei etlichen Dutzend Millionen Jahren. Zum Beispiel können wir nicht sicher sein, auf welcher Seite der Sonne sich in hundert Millionen Jahren der Pluto befinden wird. Er wird sich auf derselben Umlaufbahn befinden, doch seine Position auf dieser Bahn ist völlig ungewiß.
Wir wissen das durch mathematische Untersuchungen, die insbesondere mit einem Astrolabium angestellt wurden – doch es war ein ›digitales Astrolabium‹, ein speziell angefertigter Computer, der Himmelsmechanik sehr schnell berechnen konnte. Das digitale Astrolabium wurde von Jack Wisdoms Forschungsgruppe entwickelt, die – im Wettbewerb mit ihren Rivalen unter Jacques Laskar – unser Wissen über die Zukunft des Sonnensystems erweitert hat. Obwohl ein chaotisches System auf lange Sicht nicht vorhersagbar ist, kann man eine ganze Folge voneinander unabhängiger Versuche machen, um es vorherzusagen, und dann nachsehen, worin sie übereinstimmen. Der Mathematik zufolge kann man ziemlich sicher sein, daß das dann richtig ist.
Eins der frappierendsten Ergebnisse lautet, daß das Sonnensystem einen Planeten einbüßen wird. In etwa einer Milliarde Jahre wird sich der Merkur von der Sonne wegbewegen, bis er die Umlaufbahn der Venus kreuzt. Dann wird eine nahe Begegnung von Venus und Merkur einen von beiden, vielleicht auch beide ganz aus dem Sonnensystem hinausschleudern – es sei denn, daß sie unterwegs irgendwo auftreffen, was hochgradig unwahrscheinlich, aber möglich ist. Es könnte sogar die Erde sein, oder die vorbeifliegende Venus könnte sich mit uns in einem kosmischen Tanz vereinigen, in dessen Ergebnis die Erde aus dem Sonnensystem geschleudert wird. Die Einzelheiten sind nicht vorherzusagen, doch das allgemeine Szenarium ist sehr wahrscheinlich.
Das heißt, daß wir ein falsches Bild vom Sonnensystem haben. In menschlichen Zeitmaßen ist es ein sehr einfacher Ort, in dem sich kaum etwas ändert. Nach seinen eigenen Zeitmaßen, Hunderten von Jahrmillionen, ist es voller Dramatik und Aufregung, wo Planeten überall hin und her schießen, umeinander wirbeln und einander in einem wahnsinnigen Tanz der Gravitation aus der Bahn werfen.
Das erinnert entfernt an Worlds in Collision (Welten im Zusammenstoß), ein Buch, das 1950 von Immanuel Velikovsky publiziert wurde, der glaubte, ein riesiger Komet sei einst vom Jupiter ausgespien worden, zweimal nahe an der Erde vorbeigezogen,
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