Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)
blickte auf und sah den jungen Ketùn, der
hocherfreut vor ihm stand. Er sah ihm regelrecht seine Bewunderung an und
wusste manchmal nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. Ketùn schien zu
glauben, er könne alles.
Nachdenklich dachte er, dass dieser Einstellung
ein Riegel vorgeschoben werden musste. Er erhob sich, verstaute die Briefe in
einer Truhe seines Quartiers und wandte sich dann zu seinem Gegenüber. „Ich bin
bereit. Lass uns gehen.“
Die beiden Männer verließen Baos Quartier und begaben
sich zum Trainingsplatz. Viele Soldaten befanden sich dort und übten ebenfalls,
in unterschiedlich großen Gruppen; manche nur zu zweit, manche angeleitet durch
einen Soldaten höheren Ranges, der selbst regelmäßig von Bao trainiert wurde.
Ein paar Männer bemerkten den Heerführer und stupsten
einander an. „Seht, die beiden trainieren wieder.“ – „Lasst uns zusehen. Dabei
gibt es immer etwas zu lernen.“ – „Ketùn hat es noch nie geschafft, den
Heerführer zu besiegen.“ Die Männerstimmen raunten durcheinander und ein
Großteil der Aufmerksamkeit lenkte sich auf Bao und seinen Schützling.
„Was machen wir heute, mein Heerführer?“, fragte
Ketùn neugierig.
Bao lächelte. „Wir bekämpfen die Bewunderung.“
Ketùn lachte: „Wer wird hier bewun…“ Doch er hatte
den Satz noch nicht einmal ausgesprochen, da lag er schon am Boden und blickte
verwirrt in Baos Gesicht. „Warum habt Ihr mich umgeworfen?“
„Warum bist du umgefallen?“, konterte Sen-Ho.
„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Ihr mich angreift.“
Ketùn wirkte verwirrt. „Wir haben doch noch nicht einmal mit der Übung
begonnen!“
„Oh“, tat Bao erstaunt. „Ich dachte, wir befinden
uns hier auf dem Trainingsplatz. Ich wusste nicht, dass du eine Einladung
brauchst.“ Er lachte. „Ich habe noch an keinem Kampf teilgenommen, in dem mich
mein Gegenüber vorgewarnt hat, er würde mich gleich angreifen.“
Ketùn blickte verschämt auf den Boden. „Das ist
doch etwas anderes“, sagte er leise und erhob sich. „Ihr seid ja nicht mein
Feind.“
Den Schlag, der auf seiner Schulter auftraf, hatte
er wieder zu spät bemerkt. Diesmal landete er mit dem Gesicht im Staub. „Herr,
was soll das?“ Verärgert erhob er sich und wandte sich seinem Heerführer zu.
„Wenn Ihr gegen mich kämpfen wollt, dann sagt es. Ihr könnt doch nicht mitten
in Euren Erklärungen auf mich einschla…“
Kh-wumm. Wieder ein Schlag, diesmal an sein Schienbein.
Ketùn verlor das Gleichgewicht und hörte, wie ein paar Soldaten um ihn herum zu
tuscheln begannen. Wutentbrannt richtete er sich auf und hielt sich gerade noch
zurück, nicht auf Bao zuzuspringen und ihn umzustoßen.
Der stellte sich lässig vor seinen Schüler und
sagte vollkommen neutral: „Und? Bist du jetzt wütend?“
Ketùn starrte ihn an, verblüfft und verärgert
zugleich. „Ging es Euch nur darum, mich in Zorn zu versetzen?“
„War das all deine Konzentration, die du
aufbringen konntest?“ Bao sah ihn herausfordernd an.
Ketùn dachte ein wenig nach und schüttelte dann seinen
Kopf. „Nein, ich war abgelenkt.“
„Wodurch?“
„Durch Euch.“
Bao lief in weitem Kreis um Ketùn herum, während
er mit ihm sprach. „Nur durch mich?“, wollte er wissen.
„Nein, Herr. Hauptsächlich durch Eure Worte.“
„Du hast dich also durch meine Worte ablenken
lassen. Warum?“
„Weil Ihr mein Lehrer seid und ich lernen will.“
„Ich lerne von dir ebenso viel, wie du von mir,
ebenso wie ich von jedem hier etwas lernen kann.“ Er blickte die umstehenden
Soldaten an. „Aber lasse ich deshalb meine Konzentration am Rande des
Trainingsplatzes zurück? Was nutzt es, dass ich dir Kampftechniken beibringe,
wenn du im entscheidenden Moment nicht auf dein Wissen zurückgreifst, weil dein
Gegenüber dich nicht explizit zum Kampf aufgefordert hat oder weil du abgelenkt
bist?“ Bao sah sich erneut um und sprach alle an. „Das hier mag ein Übungsplatz
sein und es geht hier auch nicht um Leben und Tod. Dennoch geht es hier um
Disziplin und Aufmerksamkeit. Trainiert Eure Aufmerksamkeit und Eure Wendigkeit
– und rechnet stets mit dem Ernst der Lage. Niemand ist besser oder schlechter.
Ihr habt alle die gleiche Möglichkeit, gute Kämpfer zu werden, wenn ihr an Euch
arbeitet und stets Euren Blick in Euer Innerstes richtet.“ Blitzschnell drehte
er sich zu Ketùn und zielte einen Schlag auf dessen Seite.
Doch Ketùn hatte begriffen, um was es ging und
hatte seine Wut
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