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Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition)

Titel: Die Geliebte des gelben Mondes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Pilastro
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vorletzte
gab unter dem Druck meines Zeigefingers nach. Es machte ein kleines
Klack-Geräusch, doch ich konnte nicht sehen, woher es kam oder was es bewirkt
hatte. Unglücklicherweise war es auch schon dunkel geworden und das schwache
Licht der Kerzen im Zimmer reichte nicht aus, um irgendeine verborgene Tür
erkennen zu können. Verzweifelt musste ich feststellen, dass die Suche für
heute ein Ende hatte.
     
    Gleich am nächsten Morgen stand ich wieder vor dem
Schrank. Die Kleider lagen noch durcheinander auf dem Boden, denn ich hatte mir
gestern Abend nicht einmal die Mühe gemacht, diese wieder in den Schrank zu
räumen. Der Holznagel war leicht gefunden, diesmal gab es allerdings kein
Geräusch, als ich ihn in die Wand drückte. Wahrscheinlich war er noch aktiv vom
gestrigen Betätigen.
    „Überlege!“, rief ich mich zur Vernunft. „Du hast
etwas ausgelöst mit diesem Knopf. Da es keine Tür gibt, muss es also etwas
anderes sein.“
    Fieberhaft suchend kletterte ich in den leeren
Kleiderschrank. Nachdem ich jeden Winkel, jede Kante, jede Fläche des Schrankes
erfolglos abgetastet hatte, lehnte ich mich schließlich entmutigt gegen die
Schrankwand. Da bewegte sich plötzlich der Boden unter meinen Füßen. Erst
dachte ich, ich sei einer Ohnmacht nahe und mir wäre schwindelig. Aber dann
merkte ich, dass sich der Boden tatsächlich ein kleines Stückchen bewegt hatte.
Schnell stieg ich aus dem Schrank heraus und steckte vorsichtig meine Finger in
den entstandenen Schlitz am Boden. Die Bodenplatte ließ sich nach hinten,
scheinbar in die Mauer, schieben. Darunter befand sich ein etwa zehn Fuß tiefer
Schacht. An der Seite war eine Leiter angebracht, so dass man hinunter steigen
konnte. Nach einigem Zögern trat ich vorsichtig die einzelnen Sprossen hinunter
und befand mich schließlich in einem kleinen Raum ohne Fenster. Es war nicht
stickig, vielmehr bemerkte ich einen leichten Luftzug. Als sich meine Augen an
die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich einen Gang. Ich wollte ihm folgen,
als ich auf etwas trat. Erschrocken hob ich meinen Fuß und betrachtete den
Gegenstand am Boden. Was für eine Überraschung! Ein weiterer Thujenzweig –
allerdings ein frisch geschnittener! Der typische Geruch zerquetschter Mandeln
stieg mir in die Nase. Bilder der Begegnung am Rande des Trainingsplatzes kamen
in mir hoch und mein Herz hüpfte vor Freude und Aufregung. Hier war noch vor
kurzem jemand gewesen.
    Ich nahm den Zweig und stieg hinauf in meine Wohnung,
um ein Seidentuch aus dem Kleiderberg zu holen. Dieses ließ ich in den Schacht
fallen, etwa an die Stelle, an der der Zweig gelegen hatte. Dann zog ich den
Boden vor und ließ ihn mit einem „Klack“-Geräusch wieder einrasteten.
     
    Den gesamten Tag verbrachte ich damit, zu
überlegen, wie Bao (ich war mir sicher, dass er es war) es geschafft haben
konnte, so etwas zu bauen. Wie hatte er wissen können, dass ich in dieser
Wohnung leben würde? War es so offensichtlich, dass der Kaiser mich weit von
sich haben wollte, dass es nur eine logische Konsequenz gewesen war, diese
Räumlichkeiten für mich zu bauen? Die anderen Frauen konnten nicht weit laufen,
vielleicht hatte er damit gerechnet. Vielleicht…
    Nichtsdestotrotz – es war eine Meisterleistung gewesen.
Ich konnte nur hoffen, dass es mich auch mit ihm zusammen bringen würde.
    Doch in dieser Nacht passierte nichts. Niemand
klopfte an die verborgene Tür. Als ich am nächsten Morgen nachsah, lag dort
immer noch mein Seidentuch. Enttäuscht verschloss ich die Treppe.
    Die folgenden Tage des Wartens erschienen mir unendlich
lang und jeden Morgen sah ich im Geheimgang nach einem Zeichen meines
Geliebten. Als ich am Morgen des sechsten Tages die Geheimtür öffnete, war das
Tuch weg. Mein Puls raste und ich konnte gerade noch einen Freudenschrei
unterdrücken. Anstelle des Seidentuches lag erneut ein frischgeschnittener,
duftender Thujenzweig. Bao war also im Geheimgang gewesen. Heute Nacht würde
ich die Schiebetür offen lassen...
     
    ***
     
    Bao konnte den Einbruch der Dunkelheit kaum erwarten.
Es waren viele Wochen vergangen, seit der Kaiser und seine Frauen mit dem
Gefolge angekommen waren. Er hatte gehofft, dass sich seine Pläne verwirklichen
würden, denn es war ein großes Risiko gewesen, diesen Geheimweg in die letzte
Kammer einzubauen. Sein Glück war des Kaisers Sinn für Luxus gewesen. Shenzong
hatte angeordnet, eine Fußbodenheizung im Haus der Frauen einzubauen,
damit seine Frauen auch hier

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