Die Geliebte des Koenigs
gedankenverloren mit seiner Gabel und hielt den Blick in die Ferne gerichtet. „Leider weiß ich selbst nicht so genau, was in der letzten Zeit los ist. Die Mädchen hatten in diesem Jahr Probleme in der Schule. Probleme, von denen ich erst erfahren habe, als sie zu Ferienbeginn nach Hause gekommen sind. Die Internatsleiterin hat ihnen einen Brief mitgegeben, in dem steht, dass sie im letzten Schuljahr ziemliche Schwierigkeiten mit den dreien hatte und nicht sicher ist, ob sie überhaupt in das Institut zurückkommen können. Zumindest nicht alle drei.“
Er legte die Gabel auf den Tisch zurück und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Aber ich möchte die Mädchen nicht trennen. Sie haben doch schon ihre Mutter verloren. Da sollten sie wenigstens zusammenbleiben dürfen.“
Jesslyn nickte. In diesem Punkt war sie ganz seiner Meinung. „Hat die Direktorin irgendwelche Einzelheiten erwähnt, was diese Schwierigkeiten betrifft? Haben sie mit mangelnder Lernfähigkeit oder mit etwas anderem zu tun?“
„Wenn ich mir ihre Zeugnisse anschaue, ist der gesamte Notendurchschnitt schlechter geworden. Aber es ist ihre Note in Betragen, die mir echtes Kopfzerbrechen bereitet. Meine Töchter sind keine verwöhnten Prinzessinnen. Sie sind ganz normale Kinder. Lieb, höflich. Und trotzdem scheint sich ihr Verhalten in letzter Zeit derart geändert zu haben, dass die Schule … die Lehrer, genauer gesagt, sie als Unruhestifter bezeichnen.“
„Unruhestifter?“
„Die Jüngste soll die Schlimmste sein und hat auch die schlechtesten Noten. Sie ist es, die nicht in dieses Internat zurückkehren soll“, erklärte er niedergeschlagen.
Jesslyn schüttelte kurz den Kopf, als der Kellner ihr Wasser nachschenken wollte. „Vielleicht ist es einfach nicht die richtige Schule für deine Töchter“, gab sie zu bedenken.
„Sie sind schon zwei Jahre dort.“
„Deshalb muss es trotzdem nicht die richtige Schule für diese Kinder sein. Nicht jede Schule ist geeignet für jedes Kind.“
„Meine Frau war in dem gleichen Internat. Es war ihr Wunsch, dass die Mädchen auch dort lernen.“
„Wie alt sind die drei?“, fragte Jesslyn.
„Takia ist fünf, Saba ist sechs und Jinan, die älteste, ist sieben.“
„Aber sie sind ja noch so klein!“
„Meine Frau hat in dem Alter schon das Internat besucht.“
Auch Jesslyn war in England im Internat gewesen. Ihr hatte es nie gefallen. Die Sommer- und die Winterferien waren ihr immer viel zu kurz gewesen. Anfangs hatte sie schreckliches Heimweh gehabt, doch sie hatte sich irgendwann daran gewöhnt. Aber sie war schon neun gewesen, als sie dort eingeschult worden war. Und sie hatte nicht kurz zuvor ihre Mutter verloren.
„Vielleicht sind sie einfach noch zu jung“, begann sie vorsichtig. „Oder vielleicht war es zu viel für sie, zu schnell nach dem Verlust ihrer Mutter.“
Sharif nickte. An seinem Kinn zuckte ein Muskel. „In dem Fall müssten sie jetzt, zu Hause, doch eigentlich glücklich sein. Aber sie sind es offensichtlich nicht. Sie sind so furchtbar verschlossen. Ich erkenne sie kaum wieder.“
„Vielleicht hat ihr Zustand ja auch gar nichts mit der Schulbelastung zu tun.“
„Das habe ich mir auch gedacht. Deshalb habe ich einen Arzt, einen Spezialisten für Kinderpsychologie, hinzugezogen. Er sollte die drei untersuchen und sie einen Tag lang beobachten, um sich ein Urteil zu bilden. Doch er meinte, die Kinder hätten lediglich ein paar Anpassungsschwierigkeiten. Das würde sich bald legen.“
Jesslyn hörte die Anspannung und den Frust in Sharifs Stimme. Er machte sich ernste Sorgen um seine Töchter und wollte ihnen helfen. Nur schien er nicht zu wissen, wie diese Hilfe aussehen sollte.
Und genau das bestätigte er, als er weitersprach. „Deshalb bin ich zu dir gekommen. Du konntest immer so fantastisch mit Kindern umgehen. Schon damals, als du dein Pädagogikstudium begonnen hast. Ich dachte, wenn ihnen jemand helfen kann, dann du.“
„Sharif, ich bin keine Therapeutin, ich bin Lehrerin.“
„Ja, und deshalb brauche ich dich. Du sollst sie unterrichten. Takia kann nicht mit ihren Schwestern zurück, wenn sie nicht die versäumten und nicht bestandenen Arbeiten nachholt. Und die anderen beiden haben in einigen Fächern ebenfalls Schwächen. Ich habe die Palastbibliothek bereits zum Klassenzimmer umfunktionieren und alle nötigen Schulbücher besorgen lassen.“
„Aber ich habe noch nie so junge Schüler unterrichtet“, erinnerte sie ihn. „Meine
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