Die Geliebte des Koenigs
Vater litt bereits seit Jahren unter Herzproblemen. Sein Leibarzt war jedoch der Meinung, dass sich sein Zustand verbessert hätte. Meine Mutter griff diese Hoffnung natürlich gerne auf. Ich dagegen war skeptisch, weil er nach dem Tod meiner Schwestern einfach nicht mehr derselbe war. Es schien, als hätte ihn jegliche Lebensenergie verlassen.“
Jesslyn lernte Sharifs Schwestern in der vierten Klasse kennen. Sofort fühlte sie sich zu den fröhlichen Zwillingen hingezogen, die sich weder vom Wesen noch vom Äußeren ähnelten und dennoch die besten Freundinnen waren. Mit den Jahren waren die beiden auch ihre besten Freundinnen geworden. Was immer Jamila und Aman taten, und wo immer sie auftauchten … Jesslyn war mit dabei.
Nach Abschluss der Uni hatten die Zwillinge darauf bestanden, dass sie mit ihnen in London, im Stadthaus ihrer Tante in Mayfair, lebte. Zusammen hatten sie sich in die Arbeit gestürzt – tagsüber kümmerten sie sich um ihre Karriere, und abends gingen sie zusammen aus oder machten es sich zu Hause gemütlich. Um ihr erstes Jahr als Karrieremacherinnen gebührend zu feiern, beschlossen sie, einen traumhaften Sommerurlaub in Griechenland zu verbringen …
Es war ihr letzter Abend auf Kreta, als ein Betrunkener seitlich in ihren Wagen raste. Jamila war auf der Stelle tot. Aman wurde umgehend in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht. Jesslyn, die auf der anderen Wagenseite gesessen hatte, wurde mit schweren, aber nicht lebensbedrohlichen Verletzungen ebenfalls eingeliefert.
Das Krankenhaus in Athen war ein Albtraum gewesen. Sosehr Jesslyn die Ärzte und Schwestern angefleht hatte, Aman sehen zu dürfen – sie war nicht auf die Intensivstation vorgelassen worden, weil sie kein Familienmitglied war.
Jesslyn erinnerte sich noch gut daran, wie sie auf ihre Gehhilfe gestützt auf dem Krankenhausflur gestanden und geschluchzt hatte, dass man sie doch zu ihrer Freundin lassen solle. Sie wusste, dass Jamila tot war, und sie hatte wahnsinnige Angst um Aman. Dann tauchte plötzlich Sharif auf. Als er von dem Besuchsverbot erfuhr, öffnete er selbst die Tür zum Krankenzimmer und teilte dem Krankenhauspersonal förmlich mit, dass Jesslyn sehr wohl zur Familie gehörte.
So hatten sie sich kennengelernt – im Krankenhaus, am Tag vor Amans Tod.
„Ich kann verstehen, dass es deinen Vater furchtbar getroffen hat“, sagte Jesslyn nun leise und schluckte. Plötzlich wallte der alte Schmerz wieder in ihr auf. „Bis heute kann ich es kaum fassen, dass die beiden uns für immer verlassen haben. Jeden Tag denke ich an Jamila und Aman.“
„Ihr drei seid ja auch praktisch wie Geschwister zusammen aufgewachsen.“
Jesslyn ballte ihre Hände zu Fäusten. Mühsam versuchte sie, ihre Tränen zurückzudrängen. „Und trotzdem haben deine Eltern mich für den Unfall verantwortlich gemacht.“
„Mein Vater nicht. Er wusste, dass du nicht am Steuer gesessen hast.“
„Aber deine Mutter …“
„Meine Mutter konnte und wollte nicht akzeptieren, dass sie ihre beiden Töchter verloren hatte. Aber dafür trägst du keine Verantwortung.“
Jesslyn nickte. So freundlich die Worte gemeint sein mochten, echte Erleichterung brachten sie ihr nicht.
Am Tag der Beerdigung hatte sie einen langen Brief an König und Königin Fehz geschrieben, um ihnen mitzuteilen, wie sehr sie ihre Töchter geliebt hatte und dass sie sie ihr Leben lang vermissen würde. Doch ihr Brief war ignoriert worden.
Eine Woche nach der Beerdigung erhielt Jesslyn einen Anruf von einem Bediensteten des Königshauses. Man forderte sie auf, das Haus in Mayfair bis zum Wochenende zu räumen, da es verkauft werden sollte.
Es war schwierig für sie, so schnell eine neue Bleibe zu finden. Aber sie hatte Glück und fand schließlich ein winziges Apartment in Notting Hill. Wenige Tage nach ihrem Umzug in ihr neues Heim brach Jesslyn zusammen. Offenbar hatte sie seit dem Unfall an inneren Blutungen gelitten, die man im Krankenhaus in Athen nicht erkannt hatte.
Glücklicherweise gelang es den Notärzten, die Blutungen zu stoppen. Sie taten, was sie konnten, um den Schaden an ihren inneren Organen wieder zu beheben.
Doch nach der OP mussten sie Jesslyn mitteilen, dass sie wahrscheinlich nie eigene Kinder würde bekommen können.
Inmitten ihrer tiefsten Trauer und Verzweiflung lag plötzlich ein Strauß Blumen vor Jesslyns Apartmenttür. Weiße Tulpen und rote Orchideen. Auf dem beiliegenden Kärtchen stand: Du kannst mich jederzeit anrufen,
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