Die Geliebte des Kosaken
langen, dunkelroten Seidenschal, der leicht wie ein Schleier im Wind flatterte, und schlang ihn um ihren Zopf. Ob Andrej seinen Kauf jetzt endlich abgeschlossen hatte? Sie reckte den Hals und suchte ihn mit den Blicken, doch die Gasse war voller Menschen, und sie konnte ihn nicht mehr entdecken.
Plötzlich spürte sie hinter sich eine hastige Bewegung und wollte sich umwenden – doch es war zu spät. Ein weiter, dunkler Mantel hüllte sie ein, eine Kapuze bedeckte ihren Kopf, und eine harte Hand legte sich auf ihren Mund. Zugleich wurde sie auf beiden Seiten von kräftigen Armen gepackt und fortgezogen. Vollkommen überrumpelt gab sie der Bewegung nach, wurde zwischen den Häusern hindurch an den Rand des Markts gezerrt, dann, als sie sich gegen die Angreifer zur Wehr setzte, band jemand ihr blitzschnell ein Tuch um den Mund, ein Strick schlang sich um ihren Körper, und man warf sie auf einen Karren, der sich sofort in Bewegung setzte. Wütend zappelte sie, versuchte, sich aufzurichten, ihre Arme zu gebrauchen, doch harte Männerhände drückten sie bäuchlings auf den Boden des Wagens, Säcke wurden über sie geworfen, ein schweres Gewicht legte sich auf sie und zwang sie, still zu liegen.
Andrej, wo war Andrej? Warum half er ihr nicht? Ach, er hatte wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, was mit ihr geschehen war. Ganz sicher stand er immer noch am gleichen Fleck und feilschte um diesen verdammten Sattel.
Sie stöhnte, denn das Gewicht über ihr presste sie so fest auf den Boden des Karrens, dass sie kaum atmen konnte, und das Gefährt rumpelte noch dazu über holprige Wege. Wer um Himmels willen fiel mitten auf dem Markt über eine Frau her und verschleppte sie? Wilde Phantasien bemächtigten sich plötzlich ihrer, sie hatte von Sklavenhändlern gehört, die junge Frauen an orientalische Herrscher verkauften, wo sie für immer in einem Harem verschwanden. Hatte man ihr nicht erzählt, dass Kosaken gern schöne Frauen raubten, um sie zur Heirat zu zwingen? Oder waren es ganz einfach Räuber, die ein Lösegeld von ihrer Großmutter erpressen wollten? Aber wieso? Niemand kannte sie hier.
Der Karren hielt an, sie vernahm leise Männerstimmen, jemand zog sie an den Schultern hoch, hob sie unsanft aus dem Karren und löste die Fesseln. Unter dem Rand der Kapuze hindurch erspähte sie hölzerne Wände, in denen etliche Bretter lose waren. Sie befand sich in einem halbdunklen, heruntergekommenen Lagerschuppen.
„Hinauf mit ihr. Rasch!“
Man stieß sie voran, und die Kapuze rutschte dabei von ihrem Kopf, so dass sie jetzt ungehindert sehen konnte. Sie hätte aufgeschrien, wäre sie nicht geknebelt gewesen: Dicht vor ihr stand ein Mann in dunkler Kleidung und grinste sie mit unverhohlener Befriedigung an. Und zwar war es jener, der am gestrigen Abend durchs Fenster geblickt hatte. Vor Schreck erstarrt, ließ sie sich eine steile, enge Treppe hinaufschieben und fand sich in einem niedrigen Raum wieder, der offensichtlich einmal als Geschäftsraum des Handelskontors gedient hatte, nun aber staubig und verfallen war. Durch die hohlen Astlöcher der verwitterten Bretter drangen schmale, rötliche Sonnenstreifen, in denen der aufgewirbelte Staub tanzte, Spinnweben hingen von den Deckenbalken, die Reste eines Stuhles lagen in einer Ecke herum.
Jetzt schob sich der Mann, der sich hinter ihr gehalten hatte, an ihr vorbei – auch ihn erkannte sie wieder, denn es war der mit den rötlichen Bartkoteletten, den sie im Gasthaus fast erschlagen hatte. Sie spürte, wie sie vor Angst zu zittern begann. Es musste eine Diebesbande sein, und sie hatten sie offensichtlich verschleppt, um sich an ihr zu rächen. Die Kerle würden sie vielleicht sogar töten – oh mein Gott, sie würde Oleg niemals wiedersehen.
Man schob sie gegen die Bretterwand und hielt ihr ein Messer dicht an die Kehle. „Keinen Laut!“
Sie lehnte den Kopf zurück und schwieg, während sie fieberhaft überlegte, wie sie sich retten könnte. Vielleicht konnte man ja mit diesen Leuten verhandeln? Ihnen Geld anbieten? Zu ihrem Erstaunen schienen die beiden Entführer zunächst wenig Interesse an ihr zu haben, beide waren still, der Dunkelhaarige stand an einem der kleinen Fensterchen und sah angestrengt hinaus.
„Was machen wir, wenn es nicht klappt, Sergej?“, murmelte er.
„Er wird kommen“, brummte der Mann mit den Koteletten.
Natalja zitterte, und ihre Phantasie überfiel sie mit einer Flut schrecklicher Vorstellungen. Auf wen warteten sie? Auf den
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