Die Geliebte des Kosaken
dass er vor einem neuen Problem stand.
„Er lebt“, sagte er düster, „wir müssen ihn hier herausschaffen.“
Tatsächlich war Sergej nur für einen Augenblick betäubt gewesen. Als die Kosaken ihn unsanft unter den Brettern hervorzogen und ans Flussufer schleppten, gelangte er wieder zu Bewusstsein und öffnete die Augen. Was er sah, war nicht dazu angetan, seine Lebensgeister zu beflügeln: Im diffusen Licht des Mondes erblickte er eine Reihe bärtiger Männergesichter, die sich über ihn beugten und ihn mit finsteren Blicken durchbohrten.
„Ist aufgewacht, der Poltergeist“, meldete Kondralin.
„He Bursche! Erzähl einmal, was du in unserer Hütte zu suchen hattest. Aber keine Lügen, sonst setzt es Prügel.“
Stenka fasste den noch halb Betäubten an der Jacke und zog seinen Oberkörper hoch. Der Mann schloss die Augen und schien die Besinnung zu verlieren, denn als Stenka ihn losließ, fiel er wieder zurück und regte sich nicht mehr.
„Lassen wir ihn erst mal in Ruhe“, schlug Andrej vor.
Bogdan war anderer Ansicht. Sie hatten eine Pistole und ein Messer bei dem Kerl gefunden, beides waren gute und teure Waffen. Er befühlte die Jacke des Mannes, seine Hose und musterte die Stiefel. Das war kein armer Schlucker, der da vor ihnen lag, kein Strauchdieb, der stahl, weil er Hunger hatte. Warum trieb sich so einer hier in der Einsamkeit herum?
„Kühlen wir ihn ein wenig ab“, brummte er, „dann wird er schon lebendig werden.“
Die Kosaken grinsten, fassten den Mann an Händen und Füßen und schwangen ihn einige Male hin und her und warfen ihn dann ins seichte Flusswasser. Sergej tauchte unter, zappelte panisch mit Armen und Beinen und begriff dann, dass er nicht ertrinken würde. Zu zweit zogen sie ihn wieder ans Ufer, warteten ab, bis er aufgehört hatte zu husten und Wasser zu spucken, dann hockte Bogdan sich neben ihn und fasste ihn erneut am Kragen.
„Da schau an, Brüderchen. Bist quicklebendig wie ein Fischlein. Jetzt will ich die Wahrheit hören, sonst binden wir dir einen Strick um den Hals.“
Auch Natalja war inzwischen herbeigelaufen. Neugierig versuchte sie, sich zwischen den Kosaken hindurchzuschieben, um einen Blick auf den Gefangenen zu werfen, da spürte sie, wie Andrej sie fest am Arm packte und zur Seite zog.
„Kein Wort!“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Verblüfft sah sie ihn an und bemerkte seine finstere und angespannte Miene, dann bewegte sich einer der Kosaken zur Seite und gab ihr den Blick auf den Gefangenen frei. Sie erkannte den Spitzel sofort, obgleich sein Haar nass war und von seiner Stirn ein wenig Blut aus einer Schürfwunde lief.
Es war jener Mann, der heimlich in das Gasthaus eingestiegen war und den sie zu Boden geschlagen hatte. Einer der beiden Kerle, die sie in Nowgorod in ihre Gewalt gebracht hatten. Was hatte Andrej doch gesagt? Ehemalige Geschäftspartner, mit denen er jetzt nichts mehr zu tun haben wollte.
Sie spürte den harten Druck seiner Hand und begriff, dass es einen triftigen Grund geben musste, den Kosaken diese Begegnungen zu verschweigen. Aber warum? Fragend sah sie Andrej an, doch dessen Züge waren jetzt abweisend. Verzweiflung stieg in ihr auf. In welche Machenschaften war dieser Mensch nur verstrickt? Am Ende war er nicht nur ein Gauner, sondern sogar ein Hochverräter? Hatte man nicht Oleg dieses furchtbare Verbrechen vorgeworfen? Sie hatte keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass dieser Vorwurf berechtigt sein könnte, denn Oleg war in ihren Augen über jeden Zweifel erhaben. Aber Andrej? Sosehr sie es schmerzte: Andrej traute sie inzwischen fast jedes Verbrechen zu.
Die Kosaken hatten inzwischen begonnen, den Mann auf ihre Art auszufragen, und Andrej konnte nichts weiter tun als hoffen, dass Sergej den Mund halten würde. Doch je länger die Prozedur dauerte, desto klarer wurde ihm, dass er diese Hoffnung getrost fahrenlassen konnte.
„Wo hast du dein Pferd, Bursche?“, wollte Bogdan wissen. „Bist doch nicht zu Fuß gekommen, das sehe ich an deinen Stiefeln.“
„Mach das Maul auf!“ Wasilij ließ seine Kantschu eindrucksvoll durch die Luft sausen, sie streifte leicht die Nase des Unglücklichen und riss ihm ein Stückchen Stoff aus der Jacke.
„Aus der Stadt kommt er, ein feiner Pinkel mit schönen Bartkoteletten. Was kriechst du hier in unserer Hütte herum?“
Der erste Morgenschein lag wie ein feiner, weißlicher Nebel über dem Wald. Andrej überlegte fieberhaft, ob es möglich sein würde, rasch
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