Die Geliebte des Malers
Leinwand?«
Endlich wandte er sich zu ihr um und sah sie an. Das tiefe Stirnrunzeln blieb jedoch. Er fasste nach ihrer Hand, in der sie die Veilchen hielt, und hob sie an. »Ja, das wird gehen. Stellen Sie sich dort hin. Ich will das Licht von diesem Fenster hier.«
Während er sie durch den Raum zog, sah sie ihn an. »Guten Morgen, Colin«, sagte sie in der übertrieben fröhlichen Stimme einer Kindergartenerzieherin.
Mit einer hochgezogenen Augenbraue blieb er vor dem auserkorenen Fenster stehen. »Benimm ist nun wirklich das Letzte, an das ich denke, wenn ich arbeite.«
»Na, da bin ich ja froh, dass Sie das klargestellt haben«, erwiderte sie mit einem strahlenden Lächeln.
»Sie sollten sich vorsehen! Ich stehe in dem Ruf, vorwitzige junge Bauernmägde zum Frühstück zu verspeisen.«
»Mägde!« Jetzt war ihr Lächeln echt. »Was für ein wunderbar altmodisches Wort! Es klingt hübsch, so wie Sie es aussprechen. Allerdings finde ich ›dralle Bauernmagd‹ noch schöner.«
»Diese Beschreibung würde überhaupt nicht zu Ihnen passen.« Mit einem Finger hob er ihr Kinn an und drehte ihren Kopf von einer Seite zur anderen. Mit der anderen Hand arrangierte er ihr Haar.
»Oh.« Cassidy fühlte sich leicht beleidigt.
»Wenn ich die richtige Pose gefunden habe, dann rühren Sie sich nicht mehr. Es könnte passieren, dass ich eine Staffelei nach Ihnen werfe, falls Sie es tun sollten.« Die ganze Zeit über, während er sprach, bog er ihren Kopf und ihre Arme in Position. Seine Berührungen waren so unpersönlich wie die eines Arztes. Als würde er ein Stillleben arrangieren, dachte Cassidy. Am Ausdruck in seinem Blick erkannte sie, dass sie in seinen Gedanken gar nicht mehr existierte, seine ganze Konzentration galt allein seiner Kunst. Sie kannte das von sich selbst, wenn sie an ihrem Roman arbeitete. Dann blockte sie alles um sich herum ab und lebte nur noch in ihrer eigenen Welt.
Endlich trat er von ihr zurück und studierte sie schweigend. Es war eine natürliche Pose, für die er sich entschieden hatte. Cassidy stand gerade da, den Veilchenstrauß hielt sie mit beiden Händen auf Hüfthöhe an ihrer rechten Seite. Ihre Arme hingen entspannt nach unten, waren an den Ellbogen nur ein wenig eingeknickt. Das Haar fiel ihr frei und ungebändigt über die Schultern.
»Heben Sie das Kinn ein wenig höher.« Mit der Hand bedeutete er ihr, wie weit. »So, das reicht. Und jetzt halten Sie still und sprechen Sie nicht mehr, bis ich es Ihnen sage.«
Cassidy tat wie ihr geheißen. Nur mit den Augen verfolgte sie, wie er hinter die Staffelei ging, um ein Stück Zeichenkohle hervorzuholen. Die nächsten Minuten vergingen in absoluter Stille, während Cassidy die schwungvollen Bewegungen seiner Arme und Hände mitverfolgte und seinen musternden Blick immer wieder auf sich liegen spürte. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr in die Augen sah und ihr dabei direkt bis in die Seele blickte. Wahrscheinlich erfuhr er mehr über sie, als sie selbst über sich wusste. Eine Erkenntnis, die sie gleichzeitig nervös und neugierig machte. Was würde er dort sehen? Wie würde er es ausdrücken?
»Gut«, hörte sie ihn plötzlich sagen. » Jetzt dürfen Sie sprechen. Aber verändern Sie Ihre Haltung nicht. Erzählen Sie mir von Ihren unveröffentlichten Romanen.«
Er arbeitete so konzentriert weiter, dass Cassidy vermutete, er habe sie nur gebeten, von ihren Büchern zu reden, um sie bei Laune und entspannt zu halten. Sie bezweifelte ernsthaft, dass viel von dem, was sie sagte, auch bei ihm ankommen würde. Falls er ihr überhaupt zuhörte, so würde er alles sicher sofort wieder vergessen.
»Es gibt eigentlich nur einen Roman. Oder besser, anderthalb. Ich arbeite an meinem zweiten Buch, während das erste Manuskript von Verlag zu Verlag wandert, um dann mit einem höflichen Ablehnungsschreiben wieder zu mir zurückzukommen.« Sie wollte schon mit der Schulter zucken, fing sich aber im letzten Moment noch. »Der erste handelt von einer Frau, die erwachsen wird, von den Entscheidungen, die sie trifft, von den Fehlern, die sie macht. Eigentlich ist es ziemlich gefühlsbetont. Ich denke immer noch gern, dass sie letztendlich die richtige Wahl getroffen hat … Wissen Sie eigentlich, wie schwierig es ist, die Hände stillzuhalten, wenn man spricht? Mir war nie bewusst gewesen, wie sehr ich mit meinen Händen rede.«
»Das ist Ihr gälisches Blut.« Mit gerunzelter Stirn sah er lange auf die Leinwand, dann glitt sein Blick zu ihr. An
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