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Die Geliebte des Malers

Die Geliebte des Malers

Titel: Die Geliebte des Malers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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für heute«, verkündete Colin abrupt und legte die Zeichenkohle beiseite. Er wischte sich die Hände an einem Lappen ab, sah zu ihr hin. Sie hatte das Gefühl, dass er die echte Cassidy St. John jetzt zum ersten Mal wieder sah, seit er sie in die Pose gestellt hatte. »Entspannen Sie sich.«
    Cassidy war erstaunt, wie steif und verspannt ihre Muskeln waren. »Wie lange habe ich denn jetzt hier gestanden?«, fragte sie und reckte sich. »Doch sicherlich länger als zwanzig Minuten, oder?«
    Den Blick auf die Leinwand gerichtet, zuckte Colin mit den Schultern. »Schon möglich. Aber es geht gut voran. Möchten Sie einen Kaffee?«
    Cassidy ärgerte es, wie lässig er die Zeit abtat. »Zwanzig Minuten ist schon reichlich lange, um in ein und derselben Stellung zu verharren. Demnächst bringe ich eine Eieruhr mit, und ja, ich hätte gern einen Kaffee.«
    Die ersten zwei Drittel ihres Kommentars überging er mit Nonchalance. »Ich mache uns welchen.«
    »Darf ich es mir ansehen?« Sie deutete auf die Leinwand auf der Staffelei.
    »Nein.« Er schloss die Tür auf.
    Sie schnaubte leise. »Und was ist mit den anderen?« Mit einer ausholenden Geste schloss sie all die Bilder ein, die an der Wand angelehnt standen. »Sind das auch Geheimnisse?«
    »Nein. Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber bleiben Sie von dem weg, an dem ich gerade arbeite.« Damit verschwand er. Cassidy ging davon aus, dass er den versprochenen Kaffee holte.
    Sie streckte der Tür, die hinter ihm zufiel, die Zunge heraus und legte den Veilchenstrauß ab. Dann besah sie sich die verschiedenen Bilder, die kreuz und quer überall im Atelier herumstanden. Cassidy konnte weder Ordnung noch ein System ausmachen. Da gab es kleine Gemälde und große, bei denen sie sogar Kraft aufwenden musste, um sie überhaupt anzuheben und umzudrehen.
    Schon nach wenigen Augenblicken war der Unmut, den sie verspürt hatte, verpufft und wurde ersetzt durch Bewunderung für Colins Talent. Sie konnte verstehen, warum man Colin Sullivan einen Meister des Lichts und der Farben nannte. Mehr noch, sie erkannte die enorme Einfühlsamkeit, die sie beim Anblick seiner Hände bereits vermutet hatte, und deren Stärke, die sie schon am eigenen Leibe verspürt hatte. Aus seinen Porträts sprachen Einsicht und Ehrlichkeit, seine Stadtszenen und Landschaften vibrierten vor Leben. Ein faszinierendes Spiel der Schatten, ein Aufblitzen von hellem Licht. Aus jedem seiner Bilder strömte seine Stimmung. Sie fragte sich, ob er wohl malte, was er sah, oder das, was er empfand, und dann wurde ihr klar, dass es eine Verbindung aus beidem war. Er sah mit seinen Augen wohl mehr, als dem Normalsterblichen vergönnt war. Das Geschenk, das ihm mitgegeben worden war, lag in seinem Blick und in seinen Händen. Diese Bilder berührten Cassidy ebenso sehr wie der Mann selbst.
    Vorsichtig drehte sie das nächste Bild um. Es war ein Frauenakt, und es war wunderschön. Der nackte Körper der Frau ruhte in lasziver Pose auf dem Sofa in der Ecke des Ateliers. Auf ihrem Gesicht lag ein träges Lächeln, sie strahlte Selbstbewusstsein und zufriedenen Stolz aus. An der milchweißen Haut und den großen dunklen Augen erkannte Cassidy das Modell, von dem Gail heute Morgen gesprochen hatte.
    »Ein bezauberndes Geschöpf, nicht wahr?« Colin war hinter sie getreten, und Cassidy fuhr zusammen.
    »Ja.« Sie drehte sich um und nahm den Becher mit Kaffee von ihm entgegen. »Ich habe noch nie eine schönere Frau gesehen.«
    Colin hob eine Augenbraue. »Sie ist nahezu perfekt. Ihr Körper ist wahrhaft erlesen.«
    Cassidy starrte in ihren Kaffee und gab vor, dass es den seltsamen Stich, der sie durchzuckte, nicht gab.
    »Sie strahlt diese ursprüngliche Sexualität aus, und sie fühlt sich wohl damit.«
    »Ja.« Cassidy nippte an ihrem Kaffee. »Und Sie haben es auf erstaunliche Weise eingefangen.«
    Ihr Ton verriet sie. Colin grinste. »Ach Cass, Sie sind wie ein offenes Buch und mit Sicherheit das entzückendste Wesen, das ich in den letzten Jahren getroffen habe.« Das Kompliment kam ihm so leicht über die Lippen. Cassidy war sicher, dass schon sehr viel erfahrenere Frauen als sie seinem gälischen Charme erlegen waren.
    Sie warf den Kopf zurück, doch der vernichtende Blick, den sie ihm eigentlich zuwerfen wollte, wurde in letzter Sekunde wie von allein zu einem Lächeln. »Ich kann nicht ganz mit Ihnen mithalten, Sullivan.« Über den Rand ihrer Tasse musterte sie ihn. Sonnenstrahlen fielen auf ihr Haar und ließen

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