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Die Geliebte des Malers

Die Geliebte des Malers

Titel: Die Geliebte des Malers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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der Haltung seiner Schultern konnte Cassidy erkennen, dass er seine Arbeit nicht eine Sekunde lang unterbrochen hatte. »Werden Sie mich Ihr Manuskript lesen lassen?«
    Überrascht riss Cassidy die Augen auf. »Nun, sicher, wenn Sie wollen …«, stammelte sie. »Ich …«
    »Gut«, fiel er ihr ins Wort und warf die nächste schwungvolle Linie auf die Leinwand. »Bringen Sie es morgen mit. Und jetzt seien Sie still«, befahl er, bevor Cassidy noch etwas sagen konnte. »Ich arbeite am Gesicht.«
    Absolutes Schweigen herrschte im Raum, bis Colin die Zeichenkohle ablegte und den Kopf schüttelte. Mürrisch schaute er zu Cassidy hin und begann dann, im Zimmer auf und ab zu marschieren. Cassidy wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, also rührte sie sich nicht und schwieg weiter. »Sie strahlen nicht die richtige Stimmung aus. Wissen Sie überhaupt, was ich von Ihnen brauche?« Ungeduld schwang in seiner Stimme mit. Cassidy öffnete den Mund, dann wurde ihr jäh klar, dass es eine rein rhetorische Frage gewesen war und er gar keine Antwort von ihr erwartete. »Ich will mehr als eine Illusion von Ihnen. Ich will Leidenschaft. Ich weiß, dass in Ihnen Leidenschaft steckt, Cassidy, mehr, als ich für dieses Gemälde brauche.« Er drehte sich zu ihr herum, und der Raum füllte sich mit seiner Anspannung. Ihr Herz begann schneller zu pochen. »Ich will ein Versprechen. Ich will eine Frau, die einen Mann dazu einlädt, ihr Liebhaber zu werden. Ich will freudige Erwartung und die Frische, die nur aus der Unschuld herrühren kann. Unberührt, aber nicht unberührbar. Das ist es, was Sie mir geben müssen. Das ist das Essentielle.« Der Akzent seiner alten Heimat wurde stärker. Seine Augen flackerten. Fasziniert beobachtete Cassidy ihn, sagte auch keinen Ton, als er direkt vor ihr zum Stehen kam. »Da muss eine Nachgiebigkeit in Ihrem Blick liegen und die Andeutung von Leidenschaft und Verlangen. Ihr Mund muss weich und willig wirken, so als seien Sie gerade geküsst worden und sehnten sich danach, erneut geküsst zu werden. Ungefähr so.«
    Damit presste er völlig unerwartet seinen Mund auf ihre Lippen. Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen, strich mit den Daumen über ihre Wangen. Mit erschreckendem Tempo vertiefte er seinen Kuss zu einer Intimität, die Cassidy erbeben ließ. Colins Lippen waren warm und weich und erfahren, und in Cassidy leckten vorsichtig Flammen der Leidenschaft auf, schossen höher. Sie konnte den Geschmack von Macht auf ihrer Zunge spüren. Und dann, so schnell, wie Colins Mund den ihren in Besitz genommen hatte, gab er ihn wieder frei.
    Cassidy war es nicht bewusst, doch auf ihrem Gesicht lag jetzt genau der Ausdruck, den er von ihr verlangt hatte – sehnsüchtig, einladend, unschuldig. Nur flüchtig wanderte Colins Blick zurück zu ihren Lippen, dann ließ er seine Hände langsam sinken. Ungeduld blitzte in seinen Augen auf, bevor er sich abwandte und wieder zurück zu seiner Staffelei ging.
    Cassidy versuchte den Aufruhr, der in ihr tobte, zu verbergen. Ihr Verstand sagte ihr, dass dieser Kuss absolut nichts zu bedeuten hatte, dass er nur Mittel zum Zweck gewesen war. Doch ihr Herz widersprach laut pochend. Colin hatte eine Sehnsucht in ihr erweckt, von der sie nicht gewusst hatte, dass diese überhaupt in ihr existierte. Er hatte ein Verlangen in ihr entfacht, dessen sie sich nie für fähig gehalten hätte. Es war eigentlich eher eine Erleuchtung denn ein Kuss gewesen. Cassidy zwang sich, ruhig durchzuatmen.
    Sie war eine erwachsene Frau. Küsse waren heutzutage schließlich fast üblicher als Händeschütteln. Es war nur ihre verräterische Fantasie, die mehr daraus machte. Nur meine Fantasie, wiederholte sie still in Gedanken. Langsam beruhigte sie sich wieder. Ihre Fantasie – und seine Unverschämtheit. Er hatte sie vollkommen überrumpelt. Er hatte sie geküsst, obwohl er überhaupt kein Recht dazu hatte, und zwar auf eine Art, die sowohl besitzergreifend als auch intim gewesen war. Cassidy hatte bisher niemandem etwas Ähnliches gewährt, und dass Colin sich das Recht darauf einfach herausgenommen hatte, erschütterte sie. Sicher: Mit ihrem Verstand konnte sie die Szene, konnte sie ihre Reaktion auf Colin rechtfertigen. Ursache und Wirkung. Sie ließ die Bilder noch einmal vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Überprüfte das Motiv. Und dennoch blieb da etwas in ihr zurück, das sie mit dem Verstand nicht wegerklären konnte. Beunruhigt beschloss sie, es besser zu ignorieren.
    »Genug

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