Die Geliebte des Normannen
eine Unterhaltung in Gang zu bringen, von ihrem Gemahl schroff zurückgewiesen wurden, fiel es der Gräfin zu, die Wogen zu glätten.
Und Lady Ceidre beherrschte es meisterhaft, verfeindete Parteien miteinander ins Gespräch zu bringen. Rasch verwickelte sie Edward und Stephen in eine unverfängliche Konversation, und schon bald war die unangenehme Spannung verflogen. Es zeigte sich sogar, dass die beiden Männer sich mochten, ungeachtet der Schlacht von Carlisle und trotz der von Kriegen und politischen Intrigen strotzenden Geschichte, die wie ein klaffender Abgrund zwischen ihnen lag. Ihre Unterhaltung wurde zunehmend freundlicher, und dem Beispiel der Gräfin folgend, mieden sie sorgfältig jegliche politischen Themen.
Mary beobachtete ihren Bruder und ihren Gemahl mit wachsender Freude. Eines Tages, daran hatte sie keinen Zweifel, würde Edward König von Schottland sein, und das würde sich für Northumberland sehr positiv auswirken. Da Edward nicht so sehr auf das Kämpfen versessen war wie ihr Vater – er war nicht weniger tapfer, aber in seinem Wesen friedfertiger und weniger streitsüchtig als Malcolm –, würden die ständigen Zwistigkeiten im Grenzland weniger werden und vielleicht ganz aufhören. Mary konnte sich eine Zeit vorstellen, in der Frieden das Land regierte, sie konnte sich sogar weitere Mahlzeiten wie diese vorstellen, mit ihrem Bruder und Stephen freundlich an einem Tisch vereint.
Nach dem Essen verabschiedeten sich Edward und Fergus. Sie waren mit einer beträchtlichen Streitmacht nach Alnwick gekommen, und ihre Männer hatten die ganze Zeit über vor den Mauern auf sie gewartet. Mary schaute ihnen von der Brustwehr aus nach und fühlte dabei gleichzeitig große Hoffnung und unerträgliche Trauer. Sie fragte sich, wann sie Edward wiedersehen würde. Sie fragte sich, ob ihre Träume wirklich einmal wahr würden.
Spät am Abend ging Mary rastlos im Schlafgemach auf und ab, bis Stephen endlich kam. Er war nach dem Mittagessen verschwunden, und sie hatte ihn seither nicht mehr gesehen. Den ganzen Nachmittag und Abend hatte sie gespannt auf diesen Moment gewartet. Nun wusste Stephen, dass sie unschuldig war, endlich stand ihre unwiderrufliche Entlastung bevor.
Er schien überrascht, sie wach vorzufinden. Dann glitt sein kühler Blick an ihr vorüber, und er begann, sich auszuziehen.
Mary war verblüfft. Wollte er nicht mit ihr reden? Oder hatte er so viel Stolz, dass er nicht zugeben konnte, falsch gelegen zu haben? Oder bedeutete sie ihm nichts mehr? Nein, das war unmöglich!
»Mylord? Darf ich Euch helfen?« Sie sprang auf.
Er sah sie nicht an.
»Ich schaffe es schon alleine«, sagte er und nahm ihre Hände von seinem Gürtel. »Geh zu Bett.«
Mary erstarrte. Irgendetwas stimmte nicht.
»Stephen?« Sie legte eine Hand auf seinen Rücken. Er hatte sein Unterkleid noch an, doch er wandte sich rasch von ihr ab, sodass ihre Hand von seinem Körper glitt.
»Lass mich in Ruhe, Mary.«
»Was – was ist los?«
»Was los ist?« Er lachte rau. »Nichts, liebe Gemahlin, gar nichts.«
»Hast du denn nicht mit deinen Spionen gesprochen?«, fragte Mary unumwunden.
Er blickte sie an und ließ sein Unterkleid zu Boden fallen.
Der Schein des Feuers spielte über seine breite, muskulöse Brust.
»Meine Spione?«
Mary begann der Mut zu verlassen.
»Hattest du keine Spione, die mein Gespräch mit Edward heute belauscht haben?«
»Nein, Mary, ich hatte keine Spione.«
Mary war so bestürzt und enttäuscht, dass sie keine Worte fand. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Wie erschöpft du bist.«
Er setzte sich und zog die Stiefel aus.
»Warum nicht?«, flüsterte sie. Ihre Sicht war so von Tränen verschleiert, dass sie seine Züge kaum erkennen konnte.
»Warum nicht?«
»Aus genau dem Grund, dass Ihr Spione dabei haben wolltet, Madame.« Er stand nackt auf und ging an ihr vorbei zum Bett. »Meine Spione hätten nichts von Bedeutung gehört, denn Ihr hättet nichts gesagt außer solchen Dingen, die Ihr sie hören und an mich berichten lassen wolltet.«
Mary war entgeistert. Unwillkürlich wich sie vor ihm zurück. Den ganzen Tag lang hatte sie sich fast ekstatisch gefühlt und in dem Glauben gewähnt, dass endlich ihre Unschuld erwiesen werde; sie hatte von der Freude geträumt, die nun wieder in ihr Leben einkehren würde, und davon, wie Stephen sie in den Armen halten würde, von den Zärtlichkeiten, die er ihr ins Ohr flüstern würde. Nun fühlte sie sich übel und elend und wie
Weitere Kostenlose Bücher