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Die Geliebte des Normannen

Die Geliebte des Normannen

Titel: Die Geliebte des Normannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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Gedanken hegte, wenn er sie ansah. Sie wollte nicht herumraten, aber da Stephen sie so gründlich in die Kunst der Liebe eingeweiht hatte, konnte sie sich nur zu gut vorstellen, welcher Art seine Gedanken waren.
    Beim Abendessen sprachen sie wenig. Henry erklärte offen, er werde die Truppen in Carlisle ablösen; danach wolle er auf seine Güter in der Normandie zurückkehren. Mary interessierte sich nicht sonderlich dafür, was in der Normandie vor sich ging, solange es nicht Northumberland oder Schottland betraf. Doch wie jedermann wusste auch sie, dass William Rufus das Herzogtum Normandie seines Bruders Robert begehrte und wahrscheinlich eines Tages in den Krieg ziehen würde, um es an sich zu reißen. Würde der Prinz dann wieder für einen der Brüder Partei ergreifen? Und wenn ja, wen würde er dieses Mal unterstützen?
    Nach dem Essen gab es die übliche Unterhaltung, ein fahrender Sänger, ein Barde, Jongleure, ein Hofnarr. Mary entschuldigte sich frühzeitig wegen ihrer Müdigkeit. Doch anstatt zu Bett zu gehen, ging sie auf die Brustwehr, um etwas frische Luft zu schnappen. Wahrscheinlich gab es morgen wieder Regen; zumindest schien der wolkenverhangene Himmel dies anzudeuten.
    Die Wachleute murmelten eine höfliche Begrüßung und ließen sie dann in Ruhe. Mary hatte einen pelzgefütterten Umhang angelegt, wickelte sich darin ein und blickte auf die zahlreichen über das Moor verstreuten Lagerfeuer hinaus. Gelächter und Gesang, auch von Frauen, und die traurige, langsame Melodie eines Saiteninstruments drangen an ihr Ohr. Sie hatte es nicht eilig damit, in das Gemach zu gehen, das sie mit Stephen teilte. Wahrscheinlich würde er lange aufbleiben, mit Henry plaudern und Pläne schmieden. Die beiden kamen sehr gut miteinander zurecht; sie schienen alte Freunde zu sein. Weshalb, das konnte sie jedoch nicht verstehen.
    Henry besaß eine gewisse Anziehungskraft, aber anders als Stephen hatte er etwas Skrupelloses an sich, das sie ängstigte. Wie Stephen war auch er mächtig; aber er war der jüngste Sohn, und der Eroberer hatte ihm außer großem Reichtum nichts vermacht. Henry hatte sich genommen, was er brauchte, und inzwischen verfügte er über eine Macht, die eines Prinzen würdig war. Vielleicht war Stephens Freundschaft mit ihm mehr politischer als persönlicher Natur. Aber unglücklicherweise glaubte Mary das nicht.
    Mary wollte nicht über Stephen nachdenken. Nicht, wenn sie es vermeiden konnte. Sie schaute lieber über das nachtschwarze Moor, die raue Landschaft, die spärlich von den zahllosen kleinen Feuern erleuchtet wurde. Ihr Herz schnürte sich zusammen. Sie merkte, dass sie nach Norden blickte, Richtung Schottland, aber sie hatte kein Heimweh. Sie hatte lange kein Heimweh gefühlt.
    Was ist mit mir geschehen?, fragte sie sich. Ich liebe mein Land, aber es ist nicht mehr meine Heimat. Wie konnte das so schnell geschehen? Alnwick ist mein Zuhause. Heute wollte ich die Männer dafür umbringen, dass sie einer meiner Hörigen etwas angetan haben – meiner Hörigen. Lieber Gott, vielleicht verwandle ich mich in eine Engländerin. Aber wäre das so schlimm? Ihr Schicksal war Northumberland; eines Tages würde sie hier Gräfin sein. Und sie war ohnehin eine halbe Engländerin, ein Umstand, den sie die meiste Zeit ihres Lebens ignoriert hatte. Ihre Mutter war die Enkelin eines sächsischen Königs. Mary lächelte traurig. Sie hatte sich immer absolut als Schottin gefühlt und tat das nach wie vor, aber irgendwie hatte sie nicht nur gelernt, ihre Ehe und ihr neues Zuhause zu akzeptieren. Irgendwie war sie diesem Ort und seinen Menschen gegenüber wirklich loyal geworden, ja, sie hatte Land und Leute lieb gewonnen. Zudem wurde sie von allen akzeptiert, vom größten Vasallen wie vom niedrigsten Bediensteten.
    Nein, dachte sie dann schnell und mit einem heftigen, stechenden Schmerz, nicht von allen. Ihr Lord akzeptierte sie nicht, er sah in ihr noch immer die Außenseiterin, schlimmer noch – eine schändliche Verräterin.
    In einem einzigen Augenblick war ihre Ehe erneut zerbrochen. Sie hatte ihm sogar wortreich mitgeteilt, dass sie ihn liebe. Und er hatte sie ausgelacht, sie verspottet und sie wortreich der Lüge bezichtigt. Mary hätte ihn gern gehasst. Aber sie konnte es nicht.
    Eine Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter. Mary fuhr entsetzt zusammen. Henry lächelte ihr zu.
    »Ich wollte Euch nicht erschrecken.«
    Ihr Blick schweifte rasch an Henry vorbei, aber ihr Gemahl begleitete ihn

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