Die Geliebte des Normannen
anstellen würde, und er hatte nicht die Absicht, ihm nachzugeben. Er sprach ein kurzes, stummes Gebet. Gottes Hilfe würde er nun gewiss brauchen.
»Sir, Ihr wisst, dass dies ein Haus des Herrn ist. Sie hat hier Zuflucht gesucht. Ich kann Euch nicht gestatten, den Schutz dieses Heiligtums zu missachten.«
Das eisige Lächeln des Ritters ließ seine Zähne blitzen. »Mein verehrter Abt, ich ziehe es vor, das Haus Gottes nicht zu schänden, aber wenn es sein muss, tue ich es.«
Es war, wie er befürchtet hatte. Der Abt schauderte; er wusste, dass dieser Lord keine leere Drohung aussprach. »Ich kann Euch den Zutritt nicht erlauben, Sir.«
»Seid Ihr Euch klar darüber, verehrter Abt, dass sie meine Gemahlin ist?«
Der Abt schluckte. Natürlich wusste er das.
»Dennoch, Sir, ist dies eine Frage der Pflicht vor Gott. Ich kann Euch den Zutritt nicht erlauben, Sir.«
Wieder blitzten die weißen Zähne des Ritters, allerdings nicht wegen eines Lächelns.
»Ich werde gewaltsam eindringen.«
Der Abt hob das Kinn, biss die Zähne zusammen und blieb unbewegt stehen.
Stephen erhob eine Hand, und zwei Reiter lösten sich aus der Truppe.
»Stürmt das Tor«, befahl er.
Geoffreys Pferd stand neben Stephens. Sein Gesicht war aschfahl. Doch er sagte nichts.
Die beiden Ritter preschten mit angelegten Lanzen auf das Tor zu. Das Holz krachte und ächzte, doch die eisernen Riegel hielten stand. Erst der zweite Angriff war erfolgreich; mit quietschenden Angeln flog das Tor auf.
Der Abt musterte Lord de Warenne. Sein Gesicht war hager und eingefallen, als habe er tagelang nicht geschlafen, doch seine Augen funkelten vor Erwartung – vor wütender, hasserfüllter Erwartung. Kein Mensch konnte einer Bestie mehr gleichen. Wieder erhob er in einer kurzen Bewegung die Hand und lenkte sein Streitross vorwärts. Ein Dutzend seiner Männer folgten ihm in das Kloster.
Im Hof glitt Stephen vom Pferd. Sein Blick erfasste die Kirche mit dem lang gestreckten Hauptschiff am nördlichen Ende des Gebäudekomplexes. Der Altarraum befand sich auf der Ostseite, Jerusalem zugewandt. Die restlichen Gebäude wie den rechtwinklig angelegten Kreuzgang, in dem die Mönche zwischen den Säulen arbeiteten und sich ergingen, das Stift, das Refektorium, den Schlafsaal, würdigte Stephen nicht eines einzigen Blickes.
»Lass niemanden entkommen«, wies er Geoffrey an.
Er selbst schritt über den gefrorenen Hof direkt auf die Kirche zu, trat ein und wartete, bis sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten.
In der Mitte des Hauptschiffs stand Edgar, die Hand an den Schwertknauf gelegt; hinter ihm in ähnlicher Pose seine jüngeren Brüder Alexander und Davie. Aus dem Schatten der Bankreihen trat Ethelred, unbewaffnet und in seiner Ordenstracht, und stellte sich neben Edgar auf. Mary war nirgendwo zu sehen.
»Ihr werdet in der Hölle enden, Mylord«, sagte Ethelred ruhig. »Das ist es nicht wert.«
»Wo ist sie?«, fragte Stephen kalt.
»Sie ist fort«, knurrte Edgar. »Sie wird nie mehr zu Euch zurückkehren, nie mehr!«
Stephens Brust hob sich schwer, so groß war sein Zorn.
»Wo ist sie hin, Edgar? Antwortet mir, sonst muss ich es aus Euch herausschneiden.« Auch er hatte die Hand ans Schwert gelegt. Und er meinte jedes Wort so, wie er es sagte. Seine Selbstbeherrschung war so gering, dass er sie im Falle einer Weigerung sofort verlieren und Marys Bruder verstümmeln würde, um in Erfahrung zu bringen, wo sie sich aufhielt.
Ethelred trat vor.
»Ich werde Euch nicht erlauben, diese Kirche mit Blut und Kampf zu beflecken. Sie ist nicht fort.« Er warf Edgar einen düsteren Blick zu. »Mary ist im Schlafsaal. Sie hat sich geweigert, den Schutz des Allerheiligsten in Anspruch zu nehmen, Mylord. Bedenkt das.«
Stephens Lächeln war furchterregend.
Und es war ihm vollkommen gleichgültig, weshalb sie sich geweigert hatte, ihren Brüdern in den Altarraum zu folgen. Er ging hinaus, über den Klosterhof und auf eine Tür zu. Dahinter befand sich ein langer, schmaler Gang, über den man die Zellen der Mönche erreichte. Stephen schritt ihn entlang, öffnete jede Tür und warf einen Blick in jeden der kärglichen Räume. Sie waren alle leer.
Doch nachdem er flüchtig in ungefähr zwei Dutzend Zellen geschaut und das Ende des Gangs erreicht hatte, fand er sie.
Sie stand in der allerletzten Kammer, an die Wand gedrückt, den Blick auf die Schwelle gerichtet, und erwartete ihn.
Stephen war so voller Wut, dass er kaum atmen konnte. Einen langen
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