Die Geliebte des Normannen
im Kloster nicht sicher, Mary«, erklärte Geoffrey. »Natürlich sind sie dort sicher!«
»Ist Stephen nicht eben eingedrungen, um Euch herauszuholen?«
Mary schwieg. Ihr Blick schwenkte auf Stephens breiten Rücken. Wenn er eine Abtei betreten und Gottes Gesetz brechen konnte, dann konnte das auch ihr Onkel Donald oder, Gott bewahre, ihr Bruder Edmund. Sie schauderte. Sie hatten die Macht an dem Tag ergriffen, an dem sie und die Jungen aus Edinburgh geflohen waren. Noch in derselben Nacht war die Nachricht eingetroffen. Sie durfte nicht daran denken, dass Donald Bane oder Edmund versuchen könnten, ihren Brüdern etwas anzutun, um sich den Thron zu sichern.
»Wohin bringt Stephen sie?«, fragte sie leise.
»Nach Alnwick, zumindest vorerst.«
Mary war erleichtert. In Alnwick würden ihre Brüder in Sicherheit sein. Zumindest für einige Zeit musste sie sich um sie also keine Gedanken machen.
Die Truppe verließ das Kloster mit Stephen an der Spitze, Mary saß hinter Geoffrey, und ihre Brüder, Gefangene nun, ritten in der Mitte. Trotz ihrer Erschöpfung erkannte Mary, dass sie nun geduldig sein musste, obwohl das nicht ihrem Wesen entsprach.
Was immer ihr Los und das ihrer Brüder sein würde, für den Moment war alles außerhalb ihrer Kontrolle. Nun war die Zeit des Abwartens gekommen. Wenn ihr das auch schwerfiel, so erkannte sie doch, dass sie dringend eine Ruhepause brauchte. Und wie es aussah, verschaffte Stephen ihr ungewollt eine solche, indem er sie nach Tetly verbannte.
Ihr Exil begann unheilvoll. Nicht lange, nachdem sie den Fluss Tweed überquert und Northumberland betreten hatten, spalteten sich Stephens Truppen auf. Geoffrey drehte mit zwei Dutzend Soldaten und Mary nach Osten ab; Stephen und der Rest der Männer ritten mit den drei Brüdern in südlicher Richtung weiter nach Alnwick.
Mary musste den Abschied kurz halten. Sie umarmte Edgar, Alexander und Davie und ermahnte sie, sich nicht über sie oder sonst irgendetwas Gedanken zu machen.
»Am Ende wird alles gut, das verspreche ich euch«, sagte sie mit gespielter Überzeugung. Natürlich war ihre Gewissheit eine Lüge, denn in Wirklichkeit war sie von Furcht und Zweifeln erfüllt. Um die Sache noch schlimmer zu machen, blickten ihre Brüder nicht nur so zweifelnd, wie sie sich fühlte, sondern sie gab sich beim Abschied auch noch heißen, sorgenvollen Tränen hin.
Von Stephen verabschiedete sie sich nicht. Dazu bot er ihr keine Gelegenheit. Er entfernte sich von der Abschiedsszene und blieb auf seinem Pferd sitzen, Mary den Rücken zugewandt. Keine Geste hätte beredter sein können. Als Mary wieder aufsaß, wusste sie, dass Stephen sie kraft seines eisernen Willens aus seinem Herzen verbannt hatte.
Am späten Nachmittag wandten sie sich direkt nach Osten und erreichten schließlich Tetly. Marys Lebensmut sank noch tiefer, als sie die einsame Burg zum ersten Mal sah. Sie lag auf einer entlegenen, kahlen Klippe, dort, wo der Fluss Tyne ins Meer mündete. Ein gewundener, gefährlicher Pfad führte zum rostigen Tor. Eine solche Lage machte eine Invasion und Belagerung unmöglich.
Später erfuhr Mary, dass die Position von Tetly aus exakt diesem Grund gewählt worden war, und aus demselben Grund war die Burg längst bedeutungslos geworden und wurde nicht mehr genutzt.
Eine Zugbrücke war nicht notwendig. Das Fallgitter öffnete sich direkt auf die steile, gefurchte Straße. Offenbar hatte Stephen ein paar Bedienstete, einen Verwalter und eine Kastellanin vorausgeschickt, denn das mit Eisenspitzen ver sehene, wegen des seltenen Gebrauchs schwergängige Tor wurde sofort hochgezogen. Durch dunkle Steinmauern gelangten sie in einen kleinen, ebenfalls dunklen Burghof. Der Boden bestand aus gefrorenem Schlamm. Mary sah sich verzweifelt um. Die wenigen äußeren Gebäude sahen sich längst dem Verfall preisgegeben. Wände bröckelten, Dächer waren eingestürzt. Die Stallungen schienen nicht benutzbar. Sie sah, dass ein neuer Anbau errichtet worden war und als Stall für Pferde und zur Unterbringung einiger Schweine diente.
Mary wandte sich dem Wohngebäude zu. Es war nicht mehr als ein einzelner, schwarzer Turm, der die Rückwand der Klippe zuwandte, nach drei Seiten hin exponiert und ständig starkem Wind ausgesetzt. An den Eingangsstufen standen ihre Bediensteten: zwei Mägde, ein junger Höriger, ein alter Verwalter und eine rundliche, besorgt aussehende Kastellanin.
Sie zog ihren Umhang fester um sich. Es war eisig kalt hier draußen auf
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