Die Geliebte des Normannen
Moment stand er reglos da. Dann befahl er ihr in gezwungener Ruhe, still zu sein, denn wenn sie jetzt nur ein Wort der Erklärung anbrachte, noch eine gottverdammte Lüge, dann, er wusste es, würde er seine Beherrschung vollends verlieren und sie töten.
Aber so viel war einfach nicht zu erhoffen. Mary zitterte, und sie war so weiß wie der Schnee draußen auf den kahlen Eichen, aber sie redete.
»Mylord«, begann sie heiser, »bitte, bitte hört mir ...«
Er hatte es gewusst, seine Beherrschung war am Ende. Mit einem Laut wie der Knall einer Peitsche traf seine flache Hand ihr Gesicht. Mary taumelte keuchend und mit einem dumpfen Geräusch an die Wand zurück und sank dann zu Boden.
Stephen wandte sich von ihr ab, schnaubend, bebend. Er hasste sich selbst – aber nicht so sehr, wie er sie hasste.
»Ich will«, sagte er, als er endlich sprechen konnte, »von Euch nicht eine einzige Lüge mehr zu hören bekommen. Es gibt nicht ein Wort, das Ihr sagen könntet und das ich hören möchte.«
Mary setzte sich auf dem kalten Steinboden auf. Die Zelle schien sich um sie zu drehen, und mit ihr Stephens riesige, machtvolle Gestalt. Furcht ergriff sie. Irgendwo im Hinterkopf fragte sie sich, ob er ihr den Kiefer gebrochen hatte – es fühlte sich so an. Und sie fragte sich, ob es nun wirklich aus war zwischen ihnen.
Stephen drehte sich wieder um.
»Ich habe Euch gewarnt. Nein, wagt es nicht zu sprechen! Wenn ich sage, ich will nichts von Euch hören, dann meine ich das auch. Ich bringe Euch nach Tetly.«
Mary blinzelte. Der Schmerz, der sie durchströmte, veränderte sich, er veränderte sein Wesen. Stephen schickte sie in die Verbannung. Zumindest würde er sie nicht töten; sie war nicht sicher gewesen, was sie bei ihrem Wiedersehen zu erwarten hatte. Es hatte sie all ihren Mut gekostet, in der kleinen Zelle zu bleiben, anstatt sich im Altarraum zu verstecken. Er würde sie nicht töten, aber das bedeutete für sie keine Erleichterung. Die Verbannung war ein Schicksal schlimmer als der Tod. Denn bedeutete sie nicht den Tod ihrer Ehe?
Und er würde sie nichts zu ihrer Verteidigung vorbringen lassen. Mary wollte sprechen, sie musste sprechen. Doch nun hatte sie solche Angst vor ihm. Davor, dass er erneut die Beherrschung verlieren, zuschlagen und sie und das Kind töten würde, selbst wenn er es gar nicht wollte. Oder vielleicht schlummerte genau diese Absicht in seiner Brust, dunkel und tödlich und drohend, und wartete auf den geringsten Anlass, einen Anlass, den ihre verzweifelten Worte liefern würden.
Mary begann zu weinen, wie schon so oft in den letzten Tagen.
Eine Flut von Bildern raste durch ihren Kopf. Malcolm, der ihr kalt und wütend erklärte, dass sie nicht mehr seine Tochter sei. Edward, der sie wegführte, umarmte, tröstete. Ihre Mutter, die in Edinburgh in der Kapelle kniete und betete.
Sie waren alle tot. Es war zu viel, als dass sie es ertragen konnte, und nun kam auch noch dies hinzu.
Ihr Gemahl, der Vater ihres ungeborenen Kindes, ein Mann, den sie kurze Zeit gehasst hatte und noch immer hassen sollte, aber nicht konnte, dieser Mann hasste sie. Er hasste sie genug, um sie fortzuschicken, zweifellos für immer. Und wenn sie nicht aufpasste, konnte sein Hass ihn sogar dazu bewegen, sie und ihr gemeinsames Kind zu ermorden.
»Eure Tränen berühren mich nicht«, erklärte Stephen kalt. »Ihr werdet mich nie wieder berühren.«
Mary wollte ihm von dem Kind erzählen. Wenn sie ihm von dem Leben berichtete, das in ihr gedieh, würde er sich vielleicht erweichen lassen, sie vielleicht sogar wieder lieben. In ihrer verzweifelten Lage würde sie alles tun, nur damit er sie wieder liebte. Doch er sagte: »Sobald Ihr meinen Erben ausgetragen habt, werde ich Euch nach Frankreich verbannen.«
Mary war vor Bestürzung wie gelähmt. Wenn sie ihm einen Sohn schenkte, würde er sie nach Frankreich schicken. Und das, sie wusste es, würde unwiderruflich sein. Einmal nach Frankreich abgeschoben, würde sie nie mehr in der Lage sein, ihn zu erreichen. Sie wäre nie in der Lage, seine Meinung zu ändern – denn sie würde ihn nie wiedersehen.
Einen Moment lang fühlte sie sich so elend, dass sie glaubte, sie müsse sich übergeben.
Stephen schritt auf die Tür zu, blieb auf einmal stehen und drehte sich halb zu ihr um.
»Ich bin zu zornig, um auch nur daran zu denken, mich irgendwann in nächster Zeit wieder zu Euch zu legen. Aber Ihr seid noch jung. Und mein Zorn wird sich verringern. Wenn mich das
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