Die Geliebte des Normannen
Bedürfnis überkommt, werde ich Euch aufsuchen. Ich werde meinen Sohn bekommen.« Er blickte ihr ins Gesicht; seine Augen waren voller Abscheu.
Mary wimmerte, sie hatte die Augen fest geschlossen. Und dann würde er sie fortschicken, und es wäre wirklich und wahrhaftig vorbei für sie.
Stephen noch hinzu: »Und sobald ich meinen Sohn habe, wird auch das nicht mehr notwendig sein.«
Mary beobachtete, wie er kehrt machte und wegging. Dann glitt sie stöhnend zu Boden. Sie spürte ihr geschundenes Gesicht nicht mehr, nur die Pein in ihrer Brust, die Qual in ihrem zertrümmerten und zerrissenen Herzen.
Geoffrey kam, um Mary nach draußen zu bringen. Sie bemerkte, dass ihr Anblick ihn entsetzte. Eine Seite ihres Kiefers war bereits geschwollen und verfärbt; bald würde ihr Gesicht dunkelblau anlaufen.
Seine Miene war anfänglich streng gewesen; nun hellte sie sich etwas auf.
»Seid Ihr verletzt?«, fragte er und ergriff ihren Arm. Mary sah ihn an, und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen.
»Nein, Sir. Aber ich werde nie mehr gesund sein.«
Geoffrey war verbittert.
»Er wird das nie vergessen, Mary, aber mit der Zeit wird er ein wenig weicher werden; mit der Zeit, glaube ich, wird er verzeihen.«
Mary schloss für einen Moment die Augen.
»Wie sehr ich wünschte, Euch glauben zu können.« Sie blickte Geoffrey an. »Ich bin nicht von ihm weggelaufen, Mylord. Ich wollte nur den Krieg beenden. Ich dachte, Vater würde meiner Bitte entsprechen.« Tränen flossen. »Ich liebe Stephen.« Mit großer Mühe schaffte sie es, ihre tobenden Gefühle zu bändigen. »Nach alledem liebe ich ihn noch immer. Ich liebe ihn schon seit Langem, seit Abernathy.
Geoffrey fühlte sich unbehaglich, angespannt.
»Vielleicht solltet Ihr das ihm sagen, Mary.«
»Wie denn? Er glaubt mir kein Wort. Und jetzt ist er so wütend, dass ich Angst vor ihm habe. Ich habe nicht nur Angst, mit ihm zu reden, ich habe Angst, mich in seine Nähe zu begeben.«
»Ihr müsst etwas Zeit verstreichen lassen. Wenn Ihr Stephen das nächste Mal seht, könnt Ihr sicher mit ihm sprechen, ohne seine Brutalität fürchten zu müssen. Er ist nicht so.«
»Natürlich«, sagte Mary teilnahmslos. Wieder ging eine Woge der Qual über sie hinweg. Würde sie die nächsten Minuten überstehen können, geschweige denn die nächsten Tage?
Wenn sie Stephen zurückhaben wollte, dann musste sie es. Sie konnte sich nicht vorstellen, wann sie ihn wiedersehen würde. Sie würde weit mehr als die nächsten Tage überstehen müssen. Vielleicht musste sie viele Monate durchhalten, bis sie eine Gelegenheit bekam, ihn wiederzusehen, ihm gegenüberzutreten, sich zu verteidigen und ihn wieder an ihre Seite zu bringen.
Und wenn bis zu ihrem erneuten Zusammentreffen mehr als ein oder zwei Monate vergingen, wäre ihre Schwangerschaft nicht mehr zu leugnen. Zweifellos würde er dann wütend auf sie sein, weil sie ihm nichts gesagt hatte. Aber wenn sie es ihm nun offenbarte, würde er sie fortschicken und sie dann nicht einmal in der Verbannung »aufsuchen«. Mary wusste, dass die einzige Hoffnung auf Rettung ihrer Beziehung einmal mehr nur in ihrem gegenseitigen Begehren lag. Falls dieses Begehren seinerseits überhaupt noch existierte. Dessen war sie sich nicht sicher.
Sie fühlte sich erschöpft: von dem Zusammentreffen mit ihrem Gemahl, dem Verlust ihrer Eltern und ihres Bruders, der Sorge um ihre Mutter, Margarets Tod, dem Gespräch mit ihrem Vater und ihrer verrückten Flucht aus Alnwick. Sie war sicher, dass sie nicht mehr in der Lage sein würde, noch mehr auszuhalten.
Geoffrey brachte sie hinaus. Sie musste kämpfen, um ihre Gefühle im Zaum zu halten. Auch wenn sie jeden Grund zum Weinen hatte, wollte sie nicht vor Stephens Bruder, seinen Männern, den Mönchen und dem guten Abt einen Anfall bekommen, wenn er sie mit Gewalt aus dem Kloster führte. Ihr Stolz war alles, was ihr noch geblieben war.
Doch dann regte sich etwas in ihrem Bauch und ließ sie den Atem anhalten. Wie unrecht sie hatte – schließlich war da noch das Kind.
Als sie sich in Begleitung des Erzdiakons näherte, wandten die Ritter den Blick ab. Geoffrey half ihr auf sein Pferd und saß hinter ihr auf. Mary trocknete sich die feuchten Augen. Ihr Blick traf Stephen. Rasch, kalt, wandte auch er sich von ihr ab.
Wie sehr er sie hasste. Dann sah Mary ihre drei Brüder, Edgar, Alexander und Davie, auf Pferden inmitten der normannischen Ritter.
»Was tun sie hier?«, fragte sie kurz.
»Sie sind
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