Die Geliebte des Normannen
Stephen war und was er tat, trat sie langsam vor.
»Guten Tag, Mylord«, sagte sie mit einem leichten Knicks. »Das ist eine Überraschung.«
Er winkte sie zu sich, ergriff ihre Hand und half ihr auf das Podium. Mary entzog ihm die Hand sofort. Und wieder schaute er amüsiert.
»Warum habe ich Euch überrascht?«, fragte er. »Habe ich nicht gesagt, ich würde Euch in der Verbannung besuchen?«
Eine neuerliche Furcht überkam Mary, doch sie setzte sich mit gespielter Gelassenheit zu ihm.
»Es ist sehr freundlich von Euch, mich in dieser einsamen Zeit zu besuchen«, sagte sie und schenkte ihm Wein nach. »Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass Freundlichkeit Euer einziges Motiv ist. Tetly liegt abseits jeglicher Reiserouten.«
»In der Tat, es ist isoliert und gottverlassen. Was für ein schrecklicher Ort! Aber Euch scheint es bestens zu gehen. Ihr strahlt, Mary. Seid Ihr so glücklich, von Eurem Gemahl getrennt zu sein?« Henry nippte an seinem Wein, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Mary sah ihn direkt an.
»Ich bin über die Trennung von Stephen nicht glücklich, Mylord. Ich liebe ihn. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem er mir vergibt und mich wieder an seine Seite ruft.«
Henry lächelte.
»Ich glaube nicht, dass dieser Tag jemals kommt, Mary. Ihr habt ihn verraten, und er ist kein Mann, der seinen Feinden verzeiht.«
»Ich bin nicht sein Feind. Ich bin seine Gemahlin.«
»Eine gefährliche Kombination. Eine tödliche Kombination, wie er sehr wohl weiß.«
Mary wandte verärgert den Blick ab und zwang sich, ruhig zu bleiben. Dies war ihr erster Besucher seit dem Winter, und sie war entschlossen, etwas über Stephen, ihre Brüder und Schottland zu erfahren. Sie hatte in diesen letzten Monaten absolut keine Nachrichten erhalten.
»Wie geht es ihm?«
»Es geht ihm gut.«
Das war nichtssagend. »Und ... meinen Brüdern?« »Auch ihnen geht es gut. Sie genießen William Rufus' Gastfreundschaft. Edmund freut sich natürlich über den Thron von Schottland, mit Eurem Onkel Donald Bane.« Mary erwiderte nichts, denn die Nachricht, dass ihre Brüder Gefangene des Königs waren, konnte kaum überraschen. Henry beobachtete sie.
»Ihr seid so still. Wusstet Ihr, dass auch Stephen dort ist? Er hat den größten Teil des Winters bei Hofe verbracht.«
Mary konnte es kaum glauben. Stephen hasste den Königshof. Ihre Brüder waren dorthin befohlen worden, und zweifellos hatte er sie begleitet, aber sie konnte nicht verstehen, weshalb er geblieben war.
»Was macht Stephen dort?«, fragte sie vorsichtig.
Mary hatte in den vergangenen Monaten alles daran gesetzt, nicht daran zu denken, was ihr Gemahl im Hinblick auf seine sehr männlichen Bedürfnisse unternahm, während er ihr fern war. Und sie hatte damit Erfolg gehabt – bis zu diesem Augenblick. Bei Hofe gab es so viele schöne Frauen mit der Moral von Huren. Mary dachte, wenn er zu einer Prostituierten ginge, könnte sie das ertragen. Prostituierte waren schmutzig und hässlich; wenn ein Mann eine solche Frau aufsuchte, hatte das nichts Persönliches. Doch der Gedanke, dass er mit einer schönen Lady ins Bett ging, war zu viel für sie, und wenn er sich schon so lange bei Hofe befand, würde er sicher keine Huren aufsuchen.
»In den langen Wintermonaten gibt es in Alnwick nicht viel zu tun, wie Ihr sicher wisst. Ich stelle mir vor, er amüsiert sich mit allen möglichen Intrigen«, sagte Henry unumwunden.
Mary betrachtete ihn. Er war grausam. Sie wusste, dass er keine politischen Intrigen meinte. Und plötzlich hatte sie genug.
Sie war Stephens Gemahlin. Diese Trennung dauerte schon viel zu lange an. Wenn Stephen sich eine andere Frau als Geliebte genommen hatte, würde sie ihm eine Szene machen, wie er es noch nie erlebt hatte. Sie konnte sich ihn im Bett mit Adele Beaufort vorstellen. Ein entsetzlicher Gedanke. Sie war seine Gemahlin. Wenn er Bedürfnisse hatte, konnte er sie gefälligst bei ihr stillen.
»Was ist mit Adele Beaufort?«
»Sie hat im Februar Ferrars geheiratet«, erzählte Henry grinsend. »Nicht, dass sie das von ihren verruchten Absichten abgebracht hätte.« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Auch sie hat den Hof nicht verlassen.«
Marys Busen wogte. Spielte Henry darauf an, dass Adele und Stephen ihre Beziehung wieder aufgenommen hatten? Sie beugte sich spontan nach vorn.
»Nehmt mich mit, wenn Ihr abreist. Ich will zum Königshof, damit ich wieder bei meinem Gemahl sein kann.«
Henry bekam große Augen, dann lachte er. »Ihr
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