Die Geliebte des Normannen
Herrn!«, murmelte er, sichtlich ergriffen.
Mary postierte sich vor dem Kamin und schaute wild um sich auf der Suche nach einer Waffe. Ihr Blick fiel auf den Schürhaken; sie packte ihn und hielt ihn drohend hoch.
Henry starrte sie entgeistert an – zuerst in ihre Augen, dann auf ihren runden Bauch, auf das V zwischen ihren Beinen und schließlich auf ihre bebenden Brüste. Er setzte sich auf.
»Das ist nicht notwendig«, bemerkte er trocken. »Eine Vergewaltigung lag nie in meiner Absicht.«
»Nein?«, fragte Mary mit hoher, überkippender Stimme. Sie begann zu zittern. Es war ihr gleichgültig, was er sagte. Der Prinz hatte sie fast überwältigt.
Seine Antwort war, das Bett zu verlassen und eine Kerze zu entzünden.
In ihrem Schein betrachtete er Mary erneut.
»Stephen weiß nichts davon.«
Seine Stimme hatte sich verändert, sie war nicht mehr herb, sondern kalt und hart, die Stimme eines verärgerten Aristokraten.
Mary bemerkte, dass sie nackt war. Sie legte den Feuerhaken nieder, wickelte rasch eines der auf dem Bett liegenden Felle um sich und zwang sich, ruhig zu werden und dem Prinzen mit Vorsicht zu begegnen.
»Nein, Stephen weiß nichts davon.«
»Ist es von ihm?«
Mary schnaubte ärgerlich.
»Jawohl, Mylord, es ist von Stephen!«, zischte sie. »Ich habe nie mit einem anderen Mann geschlafen und werde es auch nie tun.« Plötzlich trübten Tränen ihr die Sicht. »Gleichgültig, wie groß mein körperliches Verlangen ist.«
Henry blickte düster.
»Er hat das Recht, es zu erfahren.«
Dem stimmte Mary zwar zu, aber dennoch erschrak sie über diesen Gedanken. Ihre einzige Hoffnung, Stephen zu sehen, gründete sich auf seinem Glauben, dass sie kein Kind erwartete. Dass er kommen würde, um sie zu schwängern. Natürlich würde sich das, was mit Henry geschehen war, mit ihm wiederholen. Sobald er ihr die Tunika auszog, würde er sehen, dass sie bereits schwanger war – wenn er nicht schon vorher darauf gekommen wäre. Aber wenigstens würde er bei ihr sein. Sie musste ihn vor sich haben; es war ihre einzige Chance, ihre Beziehung wieder in Ordnung zu bringen. Aber wenn Henry ihm sagte, dass sie bereits in anderen Umständen war, würde er sie nach Frankreich schicken, wie er es versprochen hatte.
Ein entsetzlicher Gedanke beschäftigte Mary, eine Szene, die weit schlimmer war als alles, was ihr bereits widerfahren war: dass sie ihr Kind bekam, es ihr weggenommen und sie für immer in ein Kloster in der Fremde eingeschlossen wurde.
»Ihr dürft es ihm nicht sagen!«
»Ich werde es ihm sagen. Er muss Bescheid wissen!«
»Was für ein feiner Freund Ihr doch seid!«, fauchte Mary. Tränen traten ihr in die Augen. Sie hasste es zu betteln, aber sie musste es tun. »Bitte, lasst mich es ihm sagen.«
»Wann denn? Wenn das Kind auf der Welt ist?«, fragte Henry sarkastisch. »Nein.« Sie merkte, dass sich die Lösung ihres Problems, die Antwort auf ihre Gebete, soeben ergeben hatte. »Ich habe Euch zuvor schon gebeten, aber aus einem anderen Grund. Nun bitte ich Euch noch einmal. Nehmt mich mit. Ich werde es ihm sagen, sobald ich ihn sehe. Bitte. Das ist mein gutes Recht.«
Henry starrte sie an. Mary konnte nicht ausmachen, was in seinem Kopf vorging; seine Augen waren dunkel und unergründlich. Schließlich nickte er.
Mary war vor Erleichterung wie benommen. Sie würde an den Königshof gehen, zu Stephen. Um ihm von ihrem Kind zu – berichten und um ihr Leben zu kämpfen.
TEIL 5
25
Adele hatte Geoffrey de Warenne seit ihrer Hochzeit mit Henry Ferrars nicht mehr gesehen, aber heute würde sie ihm begegnen.
Ihre Sänfte hatte angehalten. Da Adele mit offenen Vorhängen gereist war, sah sie, dass ihr Ziel erreicht war. Obwohl von zwei Dutzend der besten Ritter ihres Gemahls umringt, erblickte sie vor einem sehr blauen Himmel und nur einige Schritte vor sich die hoch aufragende Kathedrale von Canterbury.
Sie hatte Geoffrey entsetzlich lange nicht gesehen. Am ersten Februar hatte sie geheiratet, und heute war der erste April. Eine schreckliche Vergeudung von Zeit – ihr Gemahl hatte sich in den letzten Wochen in Tutberry vergraben, viele Meilen im Westen von Essex, wo sie untätig, einsam und zunehmend verzweifelt gewesen war. Sie hatte Geoffrey zahllose Sendschreiben geschickt, aber er war nicht gekommen.
Adele machte keine Anstalten, ihre Sänfte zu verlassen. So viele hitzigen Gefühle wallten in ihr, dass sie sich nicht bewegen konnte, noch nicht. Sie war wütend, wütend über seine
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