Die Geliebte des Normannen
raue Wirklichkeit sie wieder einholte. Dass ihre Mutter, ihr Bruder, ihr Vater nie mehr bei ihr sein würden.
Deshalb konnte sie nun nicht anders, als um Stephen Angst zu haben. Sie hatte ihre Liebsten in einem Krieg verloren, sie konnte den Gedanken nicht ertragen, im nächsten Stephen zu verlieren. Sie würde nicht imstande sein, ohne ihn zu leben.
»Geh nicht«, hörte sie sich sagen.
Stephens Miene wurde hart.
»Sprich nicht wie eine Närrin.«
Mary schloss die Augen. »Wie kannst du das nur tun?« »Der König ist entschlossen, Donald Bane zu entthronen.« Mary blickte ihn durch einen Tränenschleier hindurch an.
»Du verachtest deinen König. Musst du ihm immer Gefolgschaft leisten?«
Stephens Ton war scharf wie die Klinge eines Schwerts. »Madame, ich bin sein Vasall, und so, wie Ihr geschworen habt, mich zu unterstützen und mir Gefolgschaft zu leisten, habe ich geschworen, ihn zu unterstützen und ihm Gefolgschaft zu leisten!«
Sie ließ ihren Gemahl stehen, wohl wissend, dass sie ihn noch mehr verärgerte, wenn sie ihm mit so offenkundigem Missfallen den Rücken zukehrte, und sie hörte auch sein Fauchen, aber es war ihr gleichgültig. Ihr wachsender Bauch schwächte sie inzwischen ein wenig; unbewusst rieb sie sich die schmerzenden Muskeln im Rücken. Sie blickte aus dem Fenster und bemerkte desinteressiert die Fülle der blauen Wiesenblumen. Sie war sich sehr wohl dessen bewusst, dass sie vorsichtig sein musste. Dass sie sich nicht in die Angelegenheiten ihres Gemahls einmischen durfte. Das hätte ihre Ehe schon einmal beinahe zerstört.
»Möchtest du wirklich, dass ich meinem König den Gehorsam verweigere, Mary, dem ich kniend die Lehnstreue geschworen habe?«, fragte Stephen knapp.
Mary konnte nicht lügen.
»Du hältst deinen Eid deinem König gegenüber aufrecht, aber was ist mit dem Eid, den du meinem Vater geleistet hast – meinem König?«
»Wie bitte?« Stephen war zugleich wütend und fassungslos.
Mary sog die Luft ein. »Was ist mit deinem Versprechen, deinem unter Eid geleisteten Versprechen, Edward auf den schottischen Thron zu bringen?«
Er starrte sie entgeistert an.
»Dieses Versprechen wirst du doch bestimmt erfüllen!«, schrie Mary. »Du hast doch sicher vor, Edgar zum Thron zu verhelfen und nicht Duncan!«
Er kam auf sie zu, blieb jedoch in der Mitte des Raums mit drohender Miene stehen. »Habe ich mich bei unserer Versöhnung nicht klar ausgedrückt?«
Mary hob das Kinn. Sie war zu weit gegangen, und sie wusste es, aber sie konnte nicht zurück. Das Schicksal ihrer drei Brüder hing an seinem seidenen Faden. Sie mochten als adelige Gäste behandelt werden, aber sie waren königliche Gefangene, weiter nichts. Sie hatten keinen Titel, kein Ver mögen, nicht ein einziges Lehen, nichts als das, was sie auf dem Leib trugen, und dazu Rufus' Wohlwollen und Stephens Versprechen.
»Doch, das hast du«, flüsterte sie. »Aber ich bin deine Gemahlin. Deine Belange sind auch meine. Ich will dich nicht verärgern, aber wir müssen ...«
»Wir?«
Tränen stiegen Mary in die Augen.
»Es gibt kein Wir – nicht in der Politik.«
Sie hielt die Tränen zurück und sagte sich, es sei wegen des Kindes, dass sie in letzter Zeit so häufig weinte.
»Was ist mit Edgar?«, hörte sie sich flüstern.
Stephens Miene war hart und finster.
»Ich will gar nicht wissen, wie du mein geheimstes Versprechen herausgefunden hast, Mary.«
»Edward hat es mir gesagt«, flüsterte sie, »in der Nacht vor seinem Tod.«
Diese Bemerkung veränderte seine Miene schlagartig. »Edward wäre ein großer König geworden«, murmelte er. »Edgar wird ein großer König!«
»Ihr mischt Euch in gefährlicher Weise in die Angelegenheiten von Männern ein, Madame.«
»Könnt Ihr es rechtfertigen«, schrie Mary ihn verwegen an, »ein Ungeheuer zu entthronen, um ein anderes zu krönen, Mylord? Könnt Ihr das?«
Stephen war zuerst fassungslos und dann wütend.
»Du wagst es, mein Handeln infrage zu stellen? Meine Integrität?
»Aber ich bin deine Gemahlin! Wenn du mir vertrauen würdest ...«
Sie brach ab. Was konnte sie schon sagen? Er vertraute ihr seine Geheimnisse nicht an. Hatte er nicht gesagt, er würde ihren Verrat nie vergessen? Die alte Wunde brach wieder auf, sie schwärte, denn sie war nie geheilt, sondern lediglich notdürftig verdeckt worden. Mary hatte gedacht, sie könne sie für immer dort in ihrer Hülle belassen; offenbar hatte sie sich geirrt.
»Ihr seid meine Gemahlin, und ich
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