Die Geliebte des Normannen
zeigen, dass er der Herr war. Aber wenn er dies tat, würde er dabei auch zugleich seine Versklavung zugeben. Im Bett waren sie gleich. Im Bett gab er sich ihr ganz hin, ohne Zurückhaltung. Mary wusste, dass sie außerhalb des Betts nie eine derartige Gleichheit erreichen würden – das war eine lächerliche Vorstellung –, aber eines Tages, nahm sie sich vor, würde er sich auch willentlich ganz ihr hingeben, jenseits aller Leidenschaft.
Er missdeutete ihre Miene. Seine Züge waren von Besorgnis getrübt. »Mach dir keine Sorgen, Mary. Meine Mutter hat mir versichert, dass sie bis zur Niederkunft bei dir bleiben wird. Sie wird in einer Woche hier eintreffen. Auch wenn ich nicht bald zurückkehren sollte, wirst du nicht allein sein.« Mary war bestürzt.
»Glaubst du denn, du wirst so lange weg sein?«
»Ich weiß es nicht. Wenn Duncan die Macht übernimmt, kann man ihn nicht allein lassen, bis seine Position gesichert ist.«
Mary fasste sich. »Ich habe keine Angst«, log sie. Sie wollte Stephen nicht mit der unnötigen Sorge um sie in den Krieg schicken. Schließlich hatten alle Frauen, die sie kannte, Angst vor einer Geburt. Zu viele starben dabei. Auch sie würde keine Ausnahme sein, doch bislang hatte sie sich ihrer Furcht nicht gestellt, und jetzt, bei ihrem Abschied, würde sie es auch nicht tun.
»Dann bist du tapferer, als ich dachte, Mary. Du bist wirklich ein tapferes schottisches Mädchen.«
Mary betrachtete ihren schönen Gemahl, und ihr Herz machte einen Sprung. Er hatte Angst, und er war besorgt um sie, und sein Lob tat ihr nach den schrecklichen Worten, mit denen Malcolm sie beleidigt hatte, umso mehr gut. Ihre Liebe drohte, sie zu überwältigen, ihre Knie gaben nach. Lieber Gott, sie wollte nicht, dass er in den Krieg zog, vor allem nicht aus einem Grund wie diesem. Aber sie musste so tapfer sein, wie Stephen sie sah.
»Glückliche Reise, Mylord. Ich weiß, Ihr werdet siegen.« Er beugte sich von seinem Pferd herab und blickte ihr in die Augen. »Und werdet Ihr darüber erfreut sein?«
Mary atmete tief, zögerte jedoch nicht mehr. Es war ihre Aufgabe, ihn zu unterstützen.
»Ja.« Sie kämpfte gegen plötzliche Tränen an und versicherte sich, dass sie ihre Brüder deshalb nicht im Stich ließ. »Wenn Ihr siegt, Mylord, werde ich erfreut sein.«
Stephen blickte sie unverwandt an.
Es war schwer, zu weinen und gleichzeitig zu lächeln, aber Mary schaffte es.
»Vielen Dank, Madame Gemahlin«, sagte Stephen. Auch seine Augen waren verdächtig feucht geworden.
Mitte Mai marschierte die Armee endlich mit Ziel Stirling ab und traf unterwegs auf wenig Widerstand. Als sich ihr schließlich doch eine feindliche Streitmacht entgegenstellte, befanden sich die Normannen schon unweit der königlichen Burg. Die Schlacht war überraschend kurz, die schottischen Kräfte nicht geordnet; ihnen mangelte es an einem Oberkommando. Donald Bane und Edmund flohen, sobald die Niederlage absehbar war. In der letzten Maiwoche marschierte ein siegreiches normannisches Heer in Stirling ein, mit Duncan an der Spitze. Er wurde noch am selben Nachmittag gekrönt.
Die Nachricht von dem großen Ereignis erreichte Alnwick am folgenden Tag. Es herrschte großer Jubel in der Burg, doch Mary brachte es nicht über sich, an der spontanen Feier teilzunehmen. Sie verließ das Fest und zog sich in ihr Gemach zurück, wo sie aus dem Fensterschlitz schaute. Es gelang ihr nicht, Stephens Handeln gutzuheißen, auch wenn sie noch so entschlossen war, loyal zu ihm zu halten.
Sie dachte an ihre drei Brüder, denen nichts anderes übrig blieb, als in London auszuharren, und wurde von einer unerträglichen Trauer überwältigt. Was würde nun mit ihnen geschehen? Jemand, vielleicht sogar Duncan selbst, hatte versucht, sie, Mary, zu ermorden, und im Vergleich zu den dreien stellte sie wirklich keine Bedrohung dar. Eines Tages würde einer ihrer Brüder Schottlands Thron beanspruchen, eine Armee aufstellen und versuchen, ihn mit Gewalt zu erringen. Wie sehr sie sich um sie ängstigte! Alle standen sie Duncans lebenslang verfolgten, ehrgeizigen Zielen im Weg.
Am nächsten Tag erhielt Mary von Stephen die Nachricht, dass er nicht sofort zurückkehren, sondern einige Wochen mit seiner Armee in Stirling bleiben werde, wie er es angekündigt hatte. Offenbar war Duncans Position nicht allzu sicher. Das ermutigte Mary zwar, doch wirklich froh konnte sie trotzdem nicht sein. Sie war noch immer entschlossen, loyal zu Stephen zu halten, obwohl
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