Die Geliebte des Normannen
Isobels Kopf.
»Ihr könnt gehen.«
Isobel kreischte vor Freude, umarmte ihn und rannte quer durch den Saal. Mary schickte sich an, Isobel zu folgen, und konnte ihr Glück kaum fassen. Doch sie spürte seinen Blick im Rücken.
»Hütet Euch«, sagte er leise, geheimnisvoll. »Ihr werdet nicht in der Lage sein, Alnwick zu verlassen, Mademoiselle, falls Ihr das glauben solltet.«
Irgendwie erriet er, was sie vorhatte, und irgendwie kam sie trotzdem nicht aus dem Tritt. Nun würde sie nichts mehr aufhalten, gar nichts mehr.
Isobel zog Mary mit sich und schnatterte dabei unentwegt. Mary achtete nicht auf ihre Worte. Hatte er wirklich gespürt, dass sie zu fliehen gedachte? Oder waren seine letzen Worte nur eine allgemeine Warnung gewesen? Wenn er ihre Gedanken wirklich erriet, dann hätte er sie doch gewiss nicht aus den Augen gelassen!
Sie gingen an den Ställen entlang. Isobel sprang vor Mary her, während diese mit trockenem Mund und rasendem Puls begann, nach einer passenden Gelegenheit Ausschau zu halten. Langsam vergrößerte sie den Abstand zwischen sich und dem Kind, was nicht schwierig war, denn Isobel hatte es sehr eilig.
Der Burghof war so bevölkert wie gestern, als Mary ihn zum ersten Mal betreten hatte. Eine Gruppe Frauen wusch in einem riesigen Zuber Kleider, andere Bedienstete eilten geschäftig hin und her, der Schmied war bei der Arbeit an seinem Amboss, und ein Schäfer hatte eine kleine Herde gebracht, ohne Zweifel für den Kochtopf bestimmt. Die Tiere liefen überall herum und sorgten für Lärm und Durcheinander. Zwei kleine, zottelige Hunde gingen mit Freude und großem Eifer ihren Aufgaben nach und trieben zuerst ein Mutterschaf und dann ein Lamm vor sich her. Durch das Fallgitter kamen zwei Ritter auf ihren Pferden in den Hof getrabt.
Isobel war nun schon ein gutes Stück vor ihr; nun drehte sie sich zu Mary um und rief lachend: »Kannst du nicht schneller? Sollen wir um die Wette laufen?«, und begann zu rennen.
Mary hielt inne und schaute zu, wie die Kleine unter all den Hörigen und Freien verschwand. Sie blickte vorsichtig um sich; niemand beobachtete sie. Schnell rannte sie in den langen Schatten des Rittersaals und verschnaufte dann erst einmal, vor Aufregung und Angst zitternd.
Rasch zog sie die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf. Zwei Männer mit ledernen Brustpanzern und Schwertern schlenderten an ihr vorüber. Mary wandte den Blick von ihnen ab; der eine winkte ihr zu, und sie winkte zurück.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Man hatte sie für Isobel gehalten – ihr Plan funktionierte. Sie blickte um sich und gewahrte den Zimmermann und seine Helfer, die vor einem kleinen Gebäude Holz von einem Ochsenkarren luden. Dass die Tiere nicht abgespannt worden waren, konnte nur bedeuten, dass ihre Arbeit noch nicht beendet war und sie den Hof in Kürze samt Wagen wieder verlassen würden. Mary nahm all ihren Mut zusammen; sie trat aus dem Schatten und schritt, das Gesicht auf den Boden gerichtet, auf eine Ansammlung von Weinfässern zu. Die Männer beendeten das Entladen des Karrens und gingen an ihre Arbeit zurück, der Fuhrmann setzte sich auf seinen Bock. Der Wagen war jetzt leer bis auf die Plane, die das Holz vor Regen schützen sollte.
Das war ihre Chance – vielleicht ihre einzige. Der Fuhrmann würde jeden Moment losfahren. Mary stand reglos da, ihr Herz pochte wild. Sie schaute um sich. Es waren so viele Leute da, aber niemand beachtete sie. Wer nicht seiner Arbeit nachging, schaute dem Schäfer und seinen Tieren zu, die für Gelächter und Ablenkung sorgten. Mary blickte auf den Karren, er setzte sich gerade in Bewegung. Die Peitsche des Fuhrmanns knallte, er schrie seinen Ochsen Befehle zu.
Mary überlegte nicht mehr länger. Sie raffte ihre Röcke, kletterte hinten auf den Wagen und verschwand unter der Plane. Ihr Herz schlug wild, sie schürfte sich die Knie auf, als sie sich auf den Karren kniete, und sie rechnete mit ihrer Entdeckung und lautem Geschrei. Wenigstens der Fuhrmann musste doch das Rütteln seines Wagens bemerkt haben! Sie wagte nicht, sich zu bewegen, zu atmen, sondern schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet an die Jungfrau Maria.
Aber wie durch ein Wunder riss niemand die Plane hoch, niemand zog sie an den Ohren von der Karre, kein Alarmgeschrei wurde laut. Der Wagen rollte einfach nur vorwärts.
Stephen stapfte mit düsterer Miene die schmale Wendeltreppe hinunter in den Saal. Will war aus Liddel zurückgekehrt. Das konnte nur bedeuten,
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