Die Geliebte des Normannen
»Diese Verbindung wird zustande kommen, Prinzessin, ungeachtet Eurer Abneigung dagegen!«
Mary hatte keine Kraft mehr; mit blutleerem Gesicht fiel sie in Geoffreys Arme, doch ihr Blick haftete an Stephens wutentbrannten Zügen.
Er riss den Hengst herum, gab seinen Männern ein Zeichen, und im nächsten Augenblick fand sich Mary auf Geoffreys Pferd wieder, inmitten einer donnernden Kavalkade und von Neuem in Gefangenschaft.
Mehrere Stunden waren seit Marys misslungener Flucht verstrichen. In Alnwick angekommen, war sie sofort in die Frauengemächer geschickt worden. Trotzdem bekam sie mit, dass kurz nach ihrer Festnahme im Moor eine Gruppe Ritter unter dem stolzen Banner von Northumberland die Burg verlassen hatte. Mary hegte keinen Zweifel, dass der Auftrag dieser Männer mit ihrem Schicksal verbunden war.
Wurden sie nach Schottland geschickt, zu Malcolm? Würde er noch im Laufe dieses Abends über ihren Aufenthaltsort in Kenntnis gesetzt und aufgefordert werden, sie seinem Erzfeind zur Frau zu geben?
War es ihr Schicksal, Stephen de Warennes Gemahlin zu werden?
Mary erschauderte. Die Nacht war pechschwarz, der Wind heulte, als wollte sich ein neuerlicher Sturm ankündigen. Es würde nie geschehen. Malcolm hasste Stephen de Warenne, und entehrt oder nicht, er würde dieser Verbindung niemals zustimmen.
Heiße Tränen sammelten sich unter ihren Lidern. Sie presste die Wange gegen die kühle Steinmauer. Lieber Gott, was, wenn sie bereits schwanger war?
Sie versank in ihrem Kummer, schloss die Augen und versuchte, nicht zu weinen. Sie musste beten, dass sie nicht schwanger war, nicht schwanger wurde; sie durfte gar nicht erst daran denken, ein neugeborenes Baby in den Armen zu halten.
Marys Herz begann, heftig zu schlagen.
Ihre Situation war einer Schachpartie nicht unähnlich. Sie musste seinen nächsten Zug voraussehen und ihm zuvorkommen. Sie wusste, worin dieser nächste Zug bestehen würde: in seinem gnadenlosen Versuch, einen Sohn zu zeugen.
Wenn er das schaffte, würde Malcolm dieser Verbindung womöglich zustimmen. Mary glaubte nicht, dass ihr Vater sie mit einem unehelichen Kind brandmarken ließe.
Sie schlang die Arme um ihren Körper. Zweifellos würde der Bastard sie heute Nacht aufsuchen, also bald, und dies jeden Abend wiederholen, bis sie schwanger war. Nur zu gut erinnerte sie sich an das Gefühl seines unnachgiebigen Körpers.
Würde sie nun, da sie wusste, worum es letztlich ging, in der Lage sein, seinem Liebesdrängen zu widerstehen?
Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Auch die Laute und Geräusche von unten aus dem Saal konnten sie nicht trösten. Offenbar war kurz vor Einbruch der Dunkelheit eine Gruppe fahrender Musikanten eingetroffen; sie unterhielten den Lord und sein Gefolge schon den ganzen Abend lang mit ihren schönen Stimmen, Lauten und Trommeln. Ein- oder zweimal hatte Mary Stephens Lachen gehört; es machte sie wütend.
Er war nicht verdrossen, oh nein. Im Gegenteil, ihm kam die Wendung der Ereignisse sehr zupass.
Lange Zeit stand Mary vor dem mit einer Abdeckung aus Pergament verschlossenen Fenster, an die kühle Steinmauer gelehnt. Unten im Saal wurde es still, und der Druck in ihrem Magen wuchs. Dann kam Isobel ins Zimmer.
Verärgert darüber, benutzt worden zu sein, wollte sie nicht mit Mary sprechen. Mary ihrerseits war zu sehr aus der Fassung, um eine Annäherung zu versuchen. Isobel entkleidete sich und legte sich ins Bett, den ganzen Platz für sich beanspruchend, obwohl sie wusste, dass sie ihn mit Mary teilen sollte.
Draußen prasselte der Regen noch heftiger herunter. Im Turm war es still. Isobel schien fest zu schlafen. Mary unternahm keinen Versuch, die Wachskerzen am Verlöschen zu hindern. Sie lauschte dem schnellen, harten Staccato der Regentropfen, ein Rhythmus, der dem ihres Herzens nahe kam, und versuchte, durch das Trommeln hindurch seine Schritte zu erlauschen. Doch außer dem Regen war kein Laut zu hören.
Mary versuchte, sich als Herrin einer kleinen, einsamen Burg im Norden vorzustellen, wo Schweine und Schafe durch den Saal liefen, und sie stellte sich die Feiertage vor, an denen sich alle großen Clans versammelten, mit ihrem anonymen Gemahl an ihrer Seite, und ihr sank der Mut. Stolz war eine Sünde, aber sie war sich nicht sicher, ob sie den ihren würde aufgeben können. Der Gedanke an eine solche Ehe entsetzte sie einfach. Wesentlich leichter fiel es ihr, sich als die nächste Gräfin von Northumberland vorzustellen. Im nächsten
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