Die Geliebte des Normannen
Arm. Mary wich vor ihm zurück, ließ sich aber zum Tisch geleiten. »Ihr wart nicht eingesperrt. Warum habt Ihr Euch gestern Abend geweigert, zum Abendessen nach unten zu kommen?
Mary wirkte angespannt.
Er war verstimmt, verbarg es jedoch unter förmlicher Höflichkeit.
»Ich hatte keinen Hunger, Normanne, könnt Ihr das nicht verstehen?«
Er schwieg eine ganze Weile. »Wie ich sehe, hat die Nachtruhe Eure Haltung kaum verändert«, stellte er schließlich fest.
»Dachtet Ihr, eine einzige Nacht würde mich veranlassen, meine Meinung zu ändern?«
»Ich hatte gehofft, Ihr würdet die Unausweichlichkeit unserer Verbindung erkennen.«
»Sie ist nicht unausweichlich«, fuhr Mary ihn an.
»Seid Ihr sicher?«, fragte er zurück.
Mary spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sein Blick war über sie geglitten, er hatte sie ungeniert mit den Augen ausgezogen. Seine große, warme Hand hielt ihren Unterarm fest. Die Luft zwischen ihnen vibrierte.
»Kein Mensch kann sich seinem Schicksal entziehen«, sagte Stephen leise.
Mary versuchte, sich ihm zu entziehen, aber es war vergeblich. »Ihr seid nicht mein Schicksal. Wie anmaßend von Euch, so etwas zu glauben!«
Er starrte sie an, sein Blick war dunkel, rätselhaft und aufdringlich. Mary musste sich abwenden; sie errötete vor Wut.
»Wenn Ihr glaubt«, sagte sie leise, als sie endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte, »dass meine Kapitulation vor Euch im Bett ein Fingerzeig des Schicksals ist, dann seid Ihr schlichtweg verrückt!« »Ich denke, dass Ihr vielleicht vergessen habt, wie es ist, unter mir zu liegen«, sagte er langsam und beobachtete sie dabei genau.
Mary war empört.
Sie hatte weder sein Verhalten im Bett noch ihr eigenes vergessen. Dieses Mal schaffte sie es, sich aus seinem Griff loszureißen.
»Dass Ihr in einer solchen Art und Weise mit mir sprecht ...«
»Ich sage die Wahrheit. Ich habe nicht vergessen, wie Ihr Euch anfühlt, Mary, und auch nicht, wie Ihr schmeckt«, sagte er in einem leisen, intimen Tonfall.
Mary stand ganz still. Sie erinnerte sich daran, wie seine Lippen ihre Schenkel liebkost hatten – gefährlich nahe der Stelle ihrer Vereinigung.
Er lächelte.
»Bald werde ich Euch mit weit mehr als nur Worten an Euer Schicksal erinnern«, versprach er ihr.
Sie atmete schwer und fragte sich, was ihn wohl davon abgehalten hatte, sie letzte Nacht mit in sein Bett zu nehmen. Es ergab keinen Sinn.
»Kommt«, sagte er in einem verführerischen Ton. »Genug des Gezänks.«
Mary zwang sich dazu, klare Gedanken zu fassen. Sie ließ sich von ihm zu der Tafel auf dem Podest führen und nahm als sein Ehrengast an seiner Seite Platz.
»Gefangene essen doch sicher mit den Gemeinen«, sagte sie schließlich in einem matten Versuch, ihn gegen sie aufzubringen.
»Ihr seid nicht nur von königlichem Geblüt, sondern Ihr werdet auch bald meine Braut sein und dementsprechend behandelt«, erwiderte Stephen gelassen. Er bot ihr einen Laib warmes weißes Brot und kalten Braten vom Vorabend auf einem Tranchierbrett an.
Mary bekam vom Essen und seinem Tun kaum etwas mit. Geoffrey hatte sich auf der anderen Seite neben sie gesetzt und engte ihre Bewegungsfreiheit ein. Sie berührte Stephen zwar nicht direkt, doch sie spürte die Wärme seines Oberschenkels an ihrem.
»Ich habe Euch bereits gesagt, dass mein Vater mich Euch niemals geben wird«, sagte sie heiser. »Er liebt mich zu sehr, um mich zu opfern.«
Er warf ihr einen langen, gedankenvollen Blick zu.
»Tut er das? Wirklich?«
Mary versteifte sich.
Seinem Ton nach zu urteilen bezweifelte Stephen ihre Worte, und das ärgerte sie.
»Jawohl! Denkt also an meine Worte, Normanne, damit Ihr Euch später erinnert, wer recht hatte und wer nicht.«
Seine Augen funkelten. Mary merkte, dass sie sich in ihrer Wut zu ihm gebeugt hatte, und zuckte sofort zurück. Das Leuchten in seinen Augen hatte nichts mit Zorn zu tun; es war vielmehr Lust.
Wieso war er letzte Nacht nicht zu ihr gekommen?
»Glaubt Ihr noch immer, Ihr könntet mich besiegen?« Er hielt einen Dolch in der Hand, eine lange, tödliche Waffe, die nicht gut zum Essen taugte. Mit einer Bewegung, die so schnell war, dass sie nicht folgen konnte, schnitt er ein Stück Brot ab und bot es ihr an.
»Wenn das nur möglich wäre«, antwortete sie und ließ ihren Blick zwischen seinem Gesicht und dem Messer hin und her wandern. Wie konnte sich ein so großer Mann mit solcher Anmut bewegen? War sie vielleicht die Verrückte, da sie glaubte,
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