Die Geliebte des Normannen
König erwartet, und seine Männer waren auf das Schlimmste vorbereitet. Hinter ihm ritten zwei Dutzend seiner besten Ritter in voller Rüstung und schwer bewaffnet.
Dahinter standen die Armbrustschützen von Alnwick schussbereit auf den Mauern für den Fall, dass der Schotte mit seiner Armee eine List im Sinn haben sollte.
Geoffrey und Brand ritten neben Stephen.
Malcolm Canmore erwartete ihn auf der anderen Seite des Burggrabens an der Spitze einer Streitmacht von mehreren hundert Kämpfern. Nur ein Drittel der Männer war beritten, der Rest war Fußvolk; doch alle waren kampfbereit mit Schwertern, Äxten, Pfeil und Bogen ausgerüstet. Als Stephen mit seinen Leuten über die Brücke ritt, lösten sich Malcolm und drei weitere Reiter von der Armee und kamen ihm langsam entgegengeritten.
Stephen war vor zwei Jahren in Abernathy dabei gewesen, als Malcolm König Rufus die Treue gelobte. Jahre zuvor hatte Malcolm auch schon Rufus' Vater Wilhelm dem Eroberer Gefolgschaft geschworen und sein Wort dann immer wieder gebrochen. In Abernathy hatte er sich William Rufus nur deshalb verpflichtet, weil er bei einem neuerlichen Versuch, seine Grenze nach Süden vorzuschieben, eine empfindliche Niederlage hatte einstecken müssen. Er war ein scharfsinniger und verschlagener Mann, dem man nicht vertrauen durfte.
Stephen hatte eingehend darüber nachgedacht, wie er bei dieser Auseinandersetzung mit Malcolm vorgehen sollte. Er war zwar entschlossen, die Prinzessin zu heiraten, doch dazu brauchte er nicht nur Malcolms Zustimmung, sondern auch die seines Vaters und die seines Königs – und die würde er erst erhalten, nachdem Geoffrey in London mit Rolfe und dieser wiederum mit Rufus gesprochen hatte. Insofern war Stephens Lage ziemlich prekär. In dieser Situation über seine Heirat zu verhandeln bedeutete, sich eine Autorität anzumaßen, die er nicht besaß. Wenn er aber sein Ziel erreichen und Mary zu seiner Gemahlin machen wollte, hatte er kaum eine andere Wahl.
Er war darauf vorbereitet, Malcolm anzubieten, was immer dieser forderte, und machte sich um seinen Vater keine Sorgen. Er ging davon aus, dass der Graf mit dieser plötzlichen Wendung der Ereignisse mehr als einverstanden sein würde.
Anders lag die Sache bei König William Rufus.
Würde Rolfe den König überreden können? Beim Gedanken an Rufus verhärtete sich Stephens Miene und sein Blick verdunkelte sich. Er war ein pflichtgetreuer Vasall, was jedoch nicht bedeutete, dass er den König mochte; er hatte ihm den Verrat, der schon so viele Jahre zurücklag, nicht verziehen. Irgendwo tief in seiner Seele war der kleine, einsame Junge von damals noch in ihm lebendig. Rufus hatte sich in den siebzehn Jahren nicht geändert, die seit Stephens Geiselhaft am Königshof vergangen waren. Er war hinterhältig, er war gerissen, er war despotisch. Häufig handelte er aus einer Laune heraus, nur auf seinen Vorteil und seine Befriedigung bedacht.
Stephen konnte nicht sicher sein, dass William Rufus seiner Eheschließung zustimmen würde. Der König mochte eine perverse Freude daran empfinden, die Pläne der de Warennes zu durchkreuzen – und was noch wahrscheinlicher war, Stephens Vorhaben zu unterlaufen. Oder er könnte verständlicherweise zögern, Northumberland mit seinem tödlichsten Feind im Norden zu vereinen.
Die beiden Reitergruppen hielten an. Stephen hatte Brand und Geoffrey an seiner Seite; der Erzdiakon wirkte mit seinen Kreuzen und der dunklen Robe auf diesem Schlachtfeld merkwürdig fehl am Platz. Malcolm saß auf einem herrlichen, kastanienbraunen Hengst, umgeben von drei Männern, in denen Stephen seine Söhne erkannte.
Er bewegte sein Pferd vorwärts.
Stephen tat es ihm nach. Das zerfurchte Gesicht des schottischen Königs war hart wie Granit, doch seine blauen Augen sprühten vor Hass.
»Was verlangst du, Schweinehund?«
»Keine Formalitäten?«, fragte Stephen zurück.
»Lass dein Gespött! Als du meine Tochter entführtest, warst du auch nicht auf Formalitäten bedacht, Bastard!«
Stephen zuckte mit keiner Wimper. Dass seine Feinde ihn noch immer einen Bastard nannten, war zu erwarten. Die Umstände seiner Geburt waren nun einmal nicht mehr zu ändern. Es war nicht angenehm, doch er hatte schon als Junge gelernt, solche Beleidigungen zu ignorieren.
»Als ich Eurer Tochter begegnete, war sie schäbig geklei det und erzählte mir, sie sei ein Bastard, nämlich der Bastard eines kleinen Lords aus dem Norden.«
Die Bemerkung brachte Malcolm
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