Die Geliebte des Piraten
Männer. Widerstrebend zog Raiden sich von Willa zurück, ergriff das Paddel und begann wieder zu rudern. Unverwandt sah er sie dabei an. Sein Blick glitt über den Sarong, der eine Schulter freiließ und ihren Körper so verlockend umhüllte wie eine kunstvolle Verpackung ein Stück Zuckerwerk. Er hatte schon viele Frauen im Sarong gesehen, besonders auf Java, aber keine hatte ihn so bezaubert wie diese, die jetzt im Licht des Mondes vor ihm saß. Sie trug ihn mit einer solchen Lässigkeit und Anmut, als hätte sie es schon ihr ganzes Leben lang getan.
Und das zeigte Raiden, dass gesellschaftliches Ansehen und Reichtum Willa nichts bedeuteten, und wie leicht sie ihre Vergangenheit abstreifen und ein neues Leben beginnen konnte. Er wandte den Blick von ihr und starrte aufs Wasser. Wann, so fragte er sich, würde ihm das auch gelingen, wann würde er die Kraft finden, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen? Und was würde sie sagen, wenn sie erfuhr, dass er sie bald verlassen würde?
»Weiter können wir dich nicht bringen, Montegomery«, sagte einer der Krieger einige Stunden später, als das Kanu auf den Strand glitt und das knirschende Geräusch überlaut die Stille störte.
Raiden sprang aus dem Boot und half Willa beim Aussteigen. Bevor er das Boot ins Wasser zurückschob, überreichte ihm der Anführer der drei Krieger ein Blasrohr und einen schmalen Lederbeutel, in dem sich, wie Raiden vermutete, Pfeile und Giftpulver befanden. Raiden sah den Krieger fragend an.
»Für einen Mann, der bereit war, unserem König wegen einer Frau zu trotzen«, erklärte dieser mit einem Lächeln und mit einem bewundernden Blick auf Willa. Raiden nickte und dankte ihm, dann schob er das Boot in die Strömung und schaute ihm nach, bis es ein Stück weit entfernt war.
Raiden nahm Willas Hand und führte sie den Strand hinauf in den Dschungel. »Die Sonne wird in wenigen Stunden aufgehen. Wir sind hier an der Westspitze der Insel, und wir werden morgen den halben Tag brauchen, um zur Höhle zu gelangen.«
»Es gibt hier noch andere Stämme, nicht wahr?«
»Ja. Kannibalen.«
Sie schaute ihn mit großen Augen an, ehe sie auf das Messer sah, das er ihr gegeben hatte. »Allmächtiger Gott, Raiden, wie können wir überleben? Und was ist mit Mason? O sag mir, sie würden ihn doch nicht …«
Er zog sie in seine Arme und sah ihr in die Augen, bis er spürte, dass sie ruhiger wurde. »Ich will ehrlich zu dir sein, Liebes – ich weiß es nicht. Jungen werden oft als Sklaven genommen, und vielleicht werden sie Mason auch nichts tun, weil er nicht sprechen kann.« Raiden betete, dass es irgendeinen Stammesglauben gab, nach dem es Unglück brachte, ein Kind wie Mason zu essen. Und er konnte nur hoffen, dass der Junge noch am Leben war. An diese Hoffnung musste er sich klammern, denn sie war alles, was ihnen geblieben war. Eastwick wäre bösartig genug gewesen, sein eigenes Kind zu töten, und dass sie auf der Suche nach einem Geist sein könnten, machte Raidens Sorge nicht geringer.
Willa atmete tief durch, um ihre Angst zu bezwingen. Sie wäre Raiden keine Hilfe, wenn sie jetzt in Panik verfiel. »Werden wir nachts marschieren?«
»Nein. Bis zur Morgendämmerung werden wir auf uns gestellt sein.« Er schob ein Geflecht von Schlingpflanzen für Willa beiseite, und sie duckte sich untendurch. »Aber die Besatzung der Renegade hat strikte Anweisung, vor morgen Abend kein Boot an Land zu setzen.« Er wies geradeaus. »Ein Stück in diese Richtung gibt es einen Fluss mit einem Wasserfall. Es ist dort so laut, dass man nicht hören kann, ob sich jemand nähert. Aber es gibt dort eine Höhle.«
»Du bist schon einmal hier gewesen, nicht wahr? Als du Gefangener warst?«
»Als Inaka mich schließlich freiließ, trieb ich in einem praha übers Meer. Es kam mir vor, als wären es mehrere Tage gewesen, bis mir klar war, dass die Kabbelung mich um die Insel herum geführt hatte.« Raiden schüttelte den Kopf, der Klang des rauschenden Wassers brachte die Erinnerungen zurück. »Ich bin dann losgelaufen und dabei zufällig auf Eingeborene gestoßen. Ich wusste, dass es Kannibalen waren, denn Inaka hatte oft genug damit gedroht, mich an sie auszuliefern. Ich rannte zurück zum Strand und war entschlossen, um mein Leben zu schwimmen, zum Teufel mit den Haien. Und dabei habe ich dann die Höhle gefunden und mich darin versteckt.«
Willa trat in das gebrochene Licht des Mondes und blieb fasziniert stehen. Der Anblick raubte ihr den Atem. Die
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