Die Geliebte des Rebellen
Schildpattkämme aus der rötlichen Lockenpracht.
“Allerdings hat auch Rory so manchem Mädchen den Hof gemacht. Doch alle wussten, dass nur Caitlin ihm wirklich etwas bedeutete.”
AnnaClaire fühlte einen leisen Stich in der Herzgegend. “Hast du sie gekannt, Velia?”
“Oh ja, natürlich. Und auch die ganze Familie. Es kommt einem immer noch so unwirklich vor, dass sie alle nicht mehr leben. Bis auf Innis, den armen Kerl.”
“Erzähl mir von Innis”, forderte AnnaClaire die Zofe auf.
Diese sprach jetzt mit gedämpfter Stimme. “Er ist sehr verbittert. Er lacht nie und spricht nur ganz selten. Und niemals über … jenen Tag.”
Diesen Ausführungen folgte ein längeres Schweigen, das AnnaClaire schließlich brach: “Es war sehr freundlich von Briana, mir dieses Nachtgewand auszuleihen.” Sie strich mit beiden Händen über das hauchzarte Gewebe. “Auch das Kleid, das ich heute tragen durfte, hat mir gut gefallen.”
“Ja, sie ist ein sehr liebes und großzügiges Mädchen”, erklärte Velia und fügte hinzu: “Außerdem macht sie sich sowieso nichts aus solchen Sachen.”
“Nein, was ist ihr denn sonst wichtig?” wollte AnnaClaire wissen.
“Pferde, Schwerter. Eigentlich alles, was auch Rory Spaß macht. Er war schon immer derjenige, zu dem sie voller Bewunderung aufgeblickt hat. Es hat ihr beinahe das Herz gebrochen, als er vor zwei Jahren Ballinarin verließ. Sie war wie ein Vogel ohne Schwingen. Und jetzt? Als ihr angebeteter Held wieder auftauchte, spiegelte sich reine Glückseligkeit in ihrem Gesicht.”
AnnaClaire nickte zustimmend. Ihr war aufgefallen, dass Briana beinahe den ganzen Tag über Spuren von Freudentränen über Rorys Rückkehr auf den Wangen gehabt hatte.
Velia richtete die Decken und Kissen auf dem Bett, legte noch ein Holzscheit auf das Kaminfeuer und verabschiedete sich dann: “Darf ich Euch jetzt eine gute Nacht wünschen, Mylady, und Euch den Segen meiner Familie aussprechen. Der heißt: Mögen die Engel Eure Träume bis zum morgigen Tag segnen.”
AnnaClaire war gerührt. “Vielen Dank, Velia. Wo wirst du denn schlafen?”
“Ich habe eine kleine Kammer hier auf Ballinarin. Die O’Neils haben mir versichert, dass ich mich hier zu Hause fühlen darf, solange ich möchte. Dafür werde ich ihnen für alle Zeiten dankbar sein.”
AnnaClaire blieb gedankenverloren auf der Bettkante sitzen, nachdem die Zofe hinausgegangen war. Sie schaute in die Flammen des Kaminfeuers und dachte über all das nach, was Velia ihr erzählt hatte.
Es tat ihr aus tiefster Seele leid, dass englische Soldaten dermaßen viel Kummer über diese herzensguten Menschen gebracht hatten. Kein Wunder, dass der alte Gavin O’Neil sich ihr gegenüber so beleidigend verhalten hatte. AnnaClaire konnte in gewisser Weise seinen heftigen Ausbruch verstehen.
Doch gleichzeitig fand sie es nicht gerechtfertigt, einem einzigen Mann die Schuld anzulasten für alles, was die Engländer in Irland an Unheil angerichtet hatten. Wenn die Menschen hier doch ihren Vater so gut kennen würden, wie AnnaClaire ihn kannte.
Sie musste wieder an Gavin O’Neil denken und daran, mit welchem Hass und welcher Unerbittlichkeit er ihr begegnet war. Es fiel ihr nicht leicht, in ihm denselben Mann zu sehen, der sein Haus bereitwillig den Waisen Velia und Innis geöffnet hatte. Trotz seines hitzigen, unkontrollierbaren Temperaments schien er auch ein warmherziger, großmütiger Mann zu sein.
Es war eine Schande, dass Männer verschiedener Nationalitäten und unterschiedlicher Treueschwüre einander nicht so kennenlernen konnten, wie ihre Familien sie kannten.
AnnaClaire stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie fühlte sich erschöpft und innerlich zerrissen von den widersprüchlichen Eindrücken, die in so kurzer Zeit auf sie eingestürmt waren. Aufatmend streckte sie sich auf dem Bett aus, kuschelte sich in die weichen Decken und schloss die Augen.
Plötzlich hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde, und im nächsten Moment kam Rory auf sie zu, barfuß und mit bloßem Oberkörper.
“Ich dachte schon, die Kleine mit ihrer langen Leidensgeschichte würde nie mehr aus deinem Gemach herauskommen.”
AnnaClaire richtete sich auf, wobei ihr die Decken von den Schultern rutschten und den Blick auf die nur spärlich verhüllten Rundungen freigaben. Rory fühlte, wie ihm der Mund trocken wurde.
“Hast du etwa gelauscht?” wollte AnnaClaire schockiert wissen.
“Ja, was denn sonst? Ich musste doch herausfinden, ob und wann
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