Die Geliebte des Sonnenkönigs (German Edition)
Molière sich mit seiner Tragikomödie „Don Garcie de Navarres” geholt hatte.
Als Madame, ohne recht auf ihre Vorleserin zu hören, Louise so betrachtete, fand sie, dass das Fräulein von La Vallière, allen Anschauungen Louis' zum Trotz, doch etwas von einer Nonne habe und dass sie nicht recht begreife, was der König an dem Mädchen eigentlich fände.
Dann, mit einem ihrer plötzlichen Gedankensprünge, legte Henriette von England ihren kostbaren Fächer — ein Abschiedsgeschenk Guiches — auf das Buch, aus dem Louise las.
„Genug, Fräulein von La Vallière. Ich sehe nicht ein, weshalb Molière uns seine neue Komödie nicht selbst vorlesen soll! Wozu ist er Theaterdirektor Monsieurs? Er mag uns seine ,École des maris' mit amüsanten Glossen begleiten.”
Sie sprang auf, ging an ihren Schreibtisch, warf ein paar flüchtige Worte auf ein Papier und klingelte. Der Kammerdiener erhielt das Blatt mit dem Befehl, es sofort Monsieur Molière zu überbringen, der mutmaßlich auf einer Probe sein würde. Dann wandte Madame sich wieder zu Louise zurück.
„Sie sind eine treffliche Interpretin Corneilles und Racines, auch die Scudéry und Malherbe lesen Sie ausgezeichnet — aber für Molière, meine Liebe, sind Sie doch zu sehr — Nonne.”
Molière war nicht sehr begeistert von der Einladung Madames. Er hatte seine Proben und etliche neue Entwürfe im Kopf. Es fehlte ihm durchaus an Stimmung, seine Zeit mit überflüssigen Vorlesungen zu verlieren.
Überdies fühlte er sich Monsieur nicht im Geringsten verpflichtet, dem das Theâtre du Palais Royal zwar nominell gehörte, der sich aber sämtlichen finanziellen Pflichten gegen ihn prinzipiell entzog. Molière war vollständig auf des Königs Gunst und Freundschaft angewiesen. Und der König war — in Fontainebleau!
Indessen verwehrte ihm sein nobler Charakter, Madame und ihre Wünsche zu kränken. Er erklärte sich zur Vorlesung bereit.
Ein kleiner auserlesener Cercle war in Madames gelbem Salon versammelt. Von der Literatur und Kunst waren die Grande Mademoiselle, Fräulein von Scudéry, Frau von Sévigné, Benserade und Lully anwesend.
Molière hatte gerade den ersten Akt der „École des Maris” beendet, als der Herzog von Saint-Aignan sich melden ließ. Madame sprang lebhaft auf. Ohne Zweifel, der Herzog brachte eine Botschaft vom König. Hatte Louis nicht versprochen, sich erkenntlich zu erweisen, wenn sie die La Vallière ohne jede Feindseligkeit auf ihrem Posten beließ?
Der Herzog küsste Henriette die Hand. Als sie ihn fragend ansah, bemerkte er: „Mein Auftrag kommt von den Saint-Remis. Sie erbitten Urlaub von Madame für das Fräulein von La Vallière.”
Henriette gewährte enttäuscht und doch nicht so ganz unzufrieden, dass die Botschaft an die La Vallière wenigstens nicht vom König kam. Louise hatte sich ängstlich erhoben.
„Ist meine Mutter krank?”
Der Herzog lächelte.
„Nicht dass ich wüsste, mein Fräulein. Indessen, die Sache eilt — der Wagen wartet.”
Dem langen heißen Sommer war ein kalter Spätherbst gefolgt. Draußen wirbelten die ersten Flocken, als Louise in ihren Mantel gewickelt mit dem Herzog aus dem großen Portal des Palais Royal trat.
Noch einmal, ehe sie den Wagen Saint-Aignans bestieg, fragte sie voll Angst und Sorge nach Frau von Saint-Remi. Hatten die Ereignisse diese beiden Frauen auch weit voneinander gerückt, in solchen Augenblicken flog Louises zärtliches Herz mit alter Kindesliebe zu der Mutter zurück.
Ein wenig irritiert, mit dem Ausdruck einer leichten Verlegenheit, verneinte der Herzog ein zweites Mal. Louise blieb stehen.
„Aus welchem Grunde denn werde ich so plötzlich abgerufen?”
Der Herzog zuckte die Achseln.
„Kommen Sie nur — der Wind weht eisig — Sie werden ja sehen — eine Überraschung.”
Er zog sie in den Wagen und schlug rasch den Schlag hinter ihnen zu.
Die alte, etwas schwerfällige Kalesche setzte sich langsam in Bewegung. Louise befand sich in einem Zustand grenzenloser Verwirrung. Aus dem hell erleuchteten Salon Madames in den dunklen Wagen, aus dem heiteren Kreis angeregter Menschen, belebt durch den Vortrag Molières, allein mit dem Herzog, der stumm in eine Ecke gedrückt saß — dies alles ein Werk von Augenblicken, die sie nicht hatten zur Besinnung kommen lassen!
Beklommen seufzte sie auf. Die Ahnung von etwas Rätselhaftem, Unbekanntem presst ihr die Brust. Sie lehnte die Stirn gegen die Wagenscheiben. Das Flockengewirbel war so stark, dass
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