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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wollte ihn nicht wirklich töten, weißt du«, erklärte er, »sondern nur demütigen. Und das wußte er auch. Unser Charles war kein Dummkopf.« Traurig schüttelte er den Kopf.
    Unter der feuchten Luft am Brunnen begannen sich allmählich die Locken aus meiner Frisur zu lösen. Ich strich sie aus der Stirn und fragte: »Und, hast du ihn gedemütigt?«
    »Nun, ich habe ihn immerhin verletzt.« Zu meinem Erstaunen hörte ich einen leichten Unterton der Genugtuung in seiner Stimme und sah ihn mißbilligend an. »Er hatte sein Können bei Lejeune erworben, einem der besten Fechtmeister Frankreichs«, erläuterte Jamie. »Es war, als versuchte man einen Floh zu erwischen, und ich kämpfte auch noch rechtshändig.« Wieder griff er sich in sein Haar, als wollte er prüfen, ob es noch ordentlich gebunden war.
    »Mitten im Kampf hat sich das Band, das meine Haare hielt, gelöst«, erzählte er, »und der Wind blies mir die Haare ins Gesicht, so daß ich nur noch eine Gestalt im weißen Hemd vor mir sah, die hin und her flitzte wie eine Elritze. Und so hab’ ich ihn schließlich auch erwischt - so, wie man einen Fisch im Wasser aufspießt.« Er schnaubte.
    »Er ließ einen Schrei los, als ob ich ihn durchbohrt hätte. Dabei wußte ich, daß es nur ein Kratzer war. Als ich endlich die Haare aus dem Gesicht bekommen hatte, sah ich hinter ihm am Rand der Lichtung Annalise: Sie hatte die Augen weit aufgerissen, und sie waren so düster wie das Becken hier.« Er deutete auf die silbrigschwarze Wasseroberfläche.
    »Also steckte ich meine Klinge in die Scheide, strich das Haar zurück und stand nur da - irgendwie habe ich wohl erwartet, daß sie auf mich zuläuft und sich in meine Arme wirft.«

    »Hm«, meinte ich taktvoll. »Das hat sie aber nicht getan, nehme ich an?«
    »Na ja, was wußte ich damals schon von Frauen?« verteidigte er sich. »Nein, sie ist natürlich auf ihn zugestürmt.« Er gab ein kehliges schottisches Geräusch von sich, das Selbstironie und gespielte Abscheu ausdrückte. »Einen Monat später hat sie ihn geheiratet, habe ich gehört.«
    »Tja.« Unvermittelt zuckte er mit den Schultern und lächelte bedauernd. »Da hatte ich nun ein gebrochenes Herz. Ich kehrte heim nach Schottland und blies ein paar Wochen lang Trübsal, bis meinem Vater der Geduldsfaden riß.« Er lachte. »Ich hatte mir sogar schon überlegt, ob ich Mönch werden sollte. Eines Abends sagte ich zu meinem Vater, daß ich vielleicht ins Kloster gehen und Novize werden wollte.«
    Bei diesem Gedanken mußte ich lachen. »Na, mit dem Armutsgelübde hättest du keine Schwierigkeiten gehabt; aber Enthaltsamkeit und Gehorsam wären dir wohl ein bißchen schwerer gefallen. Was meinte dein Vater dazu?«
    Seine weißen Zähne blitzten in dem dunklen Gesicht, als er lächelnd antwortete: »Er legte den Löffel weg, sah von seinem Haferbrei auf und blickte mich einen Moment lang an. Schließlich seufzte er, schüttelte den Kopf und sagte: ›Es war ein langer Tag, Jamie.< Dann griff er wieder zu seinem Löffel und widmete sich seinem Essen. Ich verlor danach nie mehr ein Wort darüber.«
    Er blickte hinauf zu der Terrasse, wo Leute herumspazierten, sich zwischen den Tänzen abkühlten, Wein tranken und hinter Fächern flirteten. Er seufzte wehmütig.
    »Aye, wirklich ein ausgesprochen hübsches Ding, diese Annalise de Marillac. Graziös wie der Wind und so klein, daß man sie unter das Hemd stecken und wie ein Kätzchen tragen möchte.«
    Ich schwieg und lauschte der leisen Musik, die aus den offenen Türen herüberdrang, während ich die schimmernden Satinpantoffeln an meinen großen Füßen betrachtete.
    Nach einer Weile bemerkte Jamie mein Schweigen.
    »Was ist los, Sassenach?« Er griff nach meinem Arm.
    »Nichts«, sagte ich seufzend. »Ich hab’ nur gerade gedacht, daß mich wohl nie jemand ›graziös wie der Wind< nennen würde.«
    »Ach.« Er hatte den Kopf halb weggedreht. Im Licht einer Laterne waren die Konturen seiner langen, geraden Nase und seines
kräftigen Kinns zu erkennen. Als er mir dann das Gesicht zuwandte, bemerkte ich das schiefe Lächeln auf seinen Lippen.
    »Ich sag’ dir was, Sassenach: Das Wort ›graziös‹ drängt sich vielleicht nicht gerade auf, wenn man dich sieht.« Er legte mir seine große warme Hand auf die Schulter.
    »Doch wenn ich mit dir rede, ist es, als spräche ich zu meiner eigenen Seele.« Sanft drehte er mein Gesicht zu sich.
    »Und, Sassenach«, wisperte er, »dein Antlitz ist mein größter

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