Die Geliehene Zeit
Schatz.«
Erst als sich ein paar Minuten später der Wind drehte und uns mit einem feinen Sprühregen vom Springbrunnen bedachte, lösten wir uns voneinander. Der unverhoffte Schauer ließ uns lachend aufspringen. Auf Jamies fragende Kopfbewegung in Richtung Terrasse nickte ich und hakte mich bei ihm unter.
»Wie ich sehe«, bemerkte ich, während wir die breiten Stufen zum Ballsaal hinaufschlenderten, »hast du mittlerweile ein bißchen mehr über die Frauen gelernt.«
»Das wichtigste, was ich über die Frauen gelernt habe, ist, wie man sich für die Richtige entscheidet.« Er trat zurück, verbeugte sich und machte eine einladende Handbewegung in den hellerleuchteten Raum. »Darf ich Sie um diesen Tanz bitten, gnädige Frau?«
Den darauffolgenden Nachmittag verbrachte ich bei den d’Arbanvilles, wo ich wieder den königlichen Kantor traf. Diesmal fanden wir auch Zeit für eine Unterhaltung, von der ich Jamie beim Abendessen berichtete.
»Wie bitte?« Jamie blinzelte mich an, als dächte er, ich wolle ihn aufziehen.
»Ich sagte, Herr Gerstmann meinte, ich würde vielleicht gern eine Freundin von ihm kennenlernen. Mutter Hildegarde leitet das Höpital des Anges - du weißt schon, das Armenspital in der Nähe der Kathedrale.«
»Ich weiß, wo es ist.« Er klang alles andere als begeistert.
»Er hatte eine Halsentzündung, und ich habe ihm gesagt, was er dagegen nehmen soll. Dann kamen wir auf Medizin im allgemeinen zu sprechen und daß ich mich dafür interessiere - na ja, so führte eben eins zum anderen.«
»Wie so oft bei dir«, stimmte er mir mit ausgesprochen zynischem
Tonfall zu. Ich ging aber nicht darauf ein und fuhr fort: »Und deshalb werde ich morgen in das Krankenhaus gehen.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um an meinen Medizinkasten auf dem Regal zu gelangen. »Beim ersten Mal nehme ich ihn wohl besser noch nicht mit«, sagte ich und inspizierte den Inhalt. »Es könnte zu aufdringlich wirken, meinst du nicht?«
»Zu aufdringlich?« Er klang erstaunt. »Möchtest du zu einem Besuch hingehen oder dort einziehen?«
»Äh, nun...« Ich atmete tief durch. »Weißt du, ich habe mir gedacht, ich könnte vielleicht regelmäßig dort arbeiten. Herr Gerstmann meinte, daß all die Ärzte und Heiler in dem Krankenhaus unentgeltlich arbeiten. Die meisten kommen nicht jeden Tag, aber ich habe ja viel freie Zeit und könnte...«
»Viel freie Zeit?«
»Hör doch auf, mir jedes Wort nachzuplappern«, erwiderte ich. »Ja, ich habe viel freie Zeit. Mir ist klar, daß es wichtig ist, zu den Salons, Abendgesellschaften und so weiter zu gehen, aber das nimmt ja nicht den ganzen Tag in Anspruch - bräuchte es jedenfalls nicht. Ich könnte...«
»Sassenach, du trägst ein Kind in dir! Du hast doch nicht ernstlich vor, Bettler und Verbrecher zu pflegen?« Nun hörte er sich ziemlich ratlos an, so als würde er sich fragen, wie er mit jemandem umgehen solle, der von einem Moment auf den anderen übergeschnappt war.
»Das habe ich nicht vergessen«, versicherte ich ihm. Ich blickte zu meinem Bauch hinab und legte eine Hand darauf.
»Man sieht es noch kaum; mit einem weiten Kleid könnte ich es noch eine Weile verbergen. Und mir fehlt ja nichts außer meiner morgendlichen Übelkeit. Es gibt keinen Grund, warum ich nicht noch ein paar Monate arbeiten sollte.«
»Nein, außer daß ich es nicht will!« Da wir an diesem Abend keine Gäste erwarteten, hatte er seine Halsbinde bereits abgenommen, so daß ich sehen konnte, wie sein Hals dunkelrot anlief.
»Jamie«, ich versuchte sachlich zu bleiben, »du weißt, was ich bin.«
»Du bist meine Frau!«
»Ja, das auch.« Ich tat seinen Einwand mit einer Handbewegung ab. »Ich bin eine Krankenpflegerin, Jamie. Eine Heilerin. Du müßtest das eigentlich wissen.«
Die Zornesröte hatte nun sein Gesicht erreicht. »Aye. Aber weil du mich kuriert hast, als ich verwundet war, soll ich es gutheißen, daß du dich um Bettler und Prostituierte kümmerst? Sassenach, weißt du denn nicht, was für Leute das Höpital des Anges aufnimmt?« Er sah mich flehentlich an, als erwartete er, daß ich endlich zur Besinnung käme.
»Was macht das schon für einen Unterschied?«
Sein wilder Blick schweifte im Zimmer umher und schien das Porträt über dem Kamin als Zeugen meiner Unvernunft anrufen zu wollen.
»Um Himmels willen, du könntest dir eine gefährliche Krankheit holen! Bedeutet dir dein Kind denn gar nichts, wenn ich dir schon gleichgültig bin?«
Sachlich zu
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