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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Schloß fallen.

29
    Die Brennesseln
    »Schottland«, seufzte ich und dachte an die kühlen Flüßchen und dunklen Kiefern von Lallybroch. »Können wir nicht heimfahren?«
    »Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben«, meinte er trokken. »In der Begnadigung des Königs heißt es, wenn ich Frankreich nicht bis Mitte September verlassen habe, sitze ich wieder in der Bastille. Vermutlich hat Seine Majestät auch eine Begnadigung von der englischen Krone erwirkt, so daß ich nicht sofort aufgeknüpft werde, wenn ich in Inverness an Land gehe.«
    »Wir könnten vermutlich auch nach Rom oder nach Deutschland gehen«, schlug ich vorsichtig vor. Nichts wollte ich lieber, als nach Lallybroch zurückzukehren und im stillen Frieden der schottischen Highlands wieder gesund zu werden. Beim Gedanken an Königshöfe und Intrigen und ein Leben voller Gefahren und Unsicherheiten wurde mir schwer ums Herz. Aber wenn Jamie meinte, wir müßten unbedingt...
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe die Wahl: Schottland oder die Bastille«, erwiderte er. »Unsere Überfahrt ist schon gebucht, um ganz sicherzugehen.« Er strich sich das Haar aus der Stirn und lächelte gequält. »Ich vermute, der Herzog von Sandringham - und vielleicht auch König George - wollen mich nach Hause schicken, wo sie ein Auge auf mich haben können. Keine Spionage in Rom, keine Geldbeschaffung in Deutschland. Die zwei Monate Aufschub sind wahrscheinlich eine freundliche Geste gegenüber Jared, damit er Zeit hat, nach Hause zu kommen, bevor ich abreise.«
    Ich saß auf dem Fenstersitz meines Zimmers und blickte auf das grüne wogende Meer der Wälder von Fontainebleau hinaus. Die heiße, drückende Sommerluft nahm mir alle Kraft.
    »Ich will nicht behaupten, daß ich mich nicht freue«, seufzte ich,
während ich meine Wange an der Fensterscheibe kühlte. Auf den Regen von gestern war ein schwüler Tag gefolgt, so daß mir Kleider und Haare unangenehm feucht am Leib klebten. »Glaubst du, es besteht keine Gefahr mehr? Ich meine, wird Charles aufgeben, nun, da der Comte tot ist und Manzettis Geld verloren ist?«
    Jamie runzelte die Stirn und strich sich über die Bartstoppeln.
    »Ich wüßte nur zu gern, ob er in den letzten vierzehn Tagen einen Brief aus Rom erhalten hat«, bemerkte er, »und wenn ja, was darin steht. Aber, aye, ich glaube, wir haben es geschafft. Kein Bankier wird einem Mitglied der Familie Stuart noch einen Penny leihen, soviel steht fest. Philipp von Spanien hat etwas Besseres zu tun, und Louis...« Jamie zuckte die Achseln und verzog den Mund. »Gegen den Einfluß eines Monsieur Duverney und eines Herzogs von Sandringham wird Charles schwerlich ankommen. Was meinst du, soll ich mich rasieren?«
    »Meinetwegen nicht«, erwiderte ich. In dieser Frage schwang die alte Vertrautheit mit, und sie machte mich plötzlich verlegen. Wir hatten letzte Nacht in einem Bett geschlafen, waren aber beide erschöpft gewesen, und das zarte Band, das wir geknüpft hatten, hätte vielleicht nicht gehalten, wenn wir versucht hätten, miteinander zu schlafen. Die ganze Nacht über war mir Jamies Nähe und Wärme schmerzlich bewußt gewesen, aber unter den gegebenen Umständen wollte ich den ersten Schritt ihm überlassen.
    Als er sich nun umdrehte, um sein Hemd anzuziehen, sah ich, wie das Licht auf seinen Schultern spielte, und mich packte das Verlangen, ihn zu berühren, seinen glatten, festen Körper, seine Lust zu spüren.
    Er zog sich das Hemd über den Kopf, und seine Augen begegneten den meinen, jäh und ungeschützt. Er hielt inne, sah mich an, sagte aber nichts. Jenseits des Schweigens, das uns umgab, drangen die morgendlichen Geräusche des Chäteau zu uns herein: das Hantieren der Dienerschaft, Louises hohe Stimme, die offenbar ungehalten ihre Anordungen traf.
    Nicht hier, sagten Jamies Augen. Nicht inmitten all dieser Leute.
    Mit gesenktem Blick begann er sein Hemd zuzuknöpfen. »Hält Louise Reitpferde?« fragte er. »Ein paar Meilen von hier gibt es Felsen. Wir könnten hinreiten. Wahrscheinlich ist es dort kühler.«
    »Ich glaube, sie hat welche«, entgegnete ich. »Ich werde fragen.«
Wir erreichten die Felsen um die Mittagszeit. Es waren weniger Felsen als vielmehr Kalksteinsäulen und -grate, die inmitten der mit dürrem Gras bewachsenen Hügel herausragten wie die Ruinen einer prähistorischen Stadt. Die hellen Grate waren von den Unbilden der Witterung zerfurcht, und in den Ritzen hatten sich Tausende von seltsamen kleinen Pflanzen

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