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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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und starrte auf meine leeren Hände, die auf meinem Schoß lagen. Da spürte ich, daß er die Hand nach mir ausstreckte, zögerte, sie zurückzog und wieder ausstreckte.
    »Nein«, sagte er fast unhörbar. »Nein, das kann ich nicht. Aber... mit Gottes Hilfe... könnte ich dir ein anderes geben.«

    Seine Hand war der meinen so nah, daß ich die Wärme seiner Haut spürte. Und ich spürte noch mehr: den Kummer, den er gewaltsam zurückdrängte, die Wut und die Angst, die ihn fast erstickten, und den Mut, der ihm dennoch die Kraft zu sprechen gab. Also sammelte ich meinen eigenen Mut, der ein windiger Ersatz für das dicke, graue Leichentuch war. Dann nahm ich seine Hand, hob den Kopf und sah direkt in die Sonne.
     
    Die Hände fest verschlungen, saßen wir auf der Bank und sprachen lange Zeit kein Wort, während die feuchte Brise im Weinlaub unsere Gedanken flüsterte. Regentropfen rieselten auf uns herab wie Tränen über Trennung und Verlust.
    »Du frierst«, murmelte Jamie schließlich und legte mir seinen Umhang um die Schultern, so daß ich seine Wärme spürte. Langsam näherte ich mich ihm unter der schützenden Hülle, und angesichts der Hitze, die er ausstrahlte, zitterte ich noch mehr als zuvor.
    Vorsichtig, als könnte ich mich tatsächlich an ihm verbrennen, legte ich meine Hand auf seine Brust, und so saßen wir und überließen das Reden dem Weinlaub.
    »Jamie«, sagte ich irgendwann. »Oh, Jamie. Wo warst du?«
    Er zog mich fester an sich, antwortete aber nicht sofort.
    »Ich dachte, du seist tot, mo duinne «, sagte er so leise, daß ich es über dem Blätterrauschen kaum verstand.
    »Ich sah dich dort liegen - auf dem Boden. O Gott! Du warst so bleich, und deine Röcke blutgetränkt... Ich wollte zu dir gehen, Claire, als ich dich sah... ich bin zu dir gerannt, aber da kamen die Wachen und verhafteten mich.«
    Er schluckte, und ich spürte, wie er erbebte.
    »Ich habe gekämpft... gekämpft und gebettelt... aber sie wollten nicht bleiben und haben mich mitgeschleift. Und mich in eine Zelle gesteckt und eingesperrt... ich dachte, du seist tot, Claire, und mir war klar, daß ich dich getötet hatte!«
    Er zitterte immer noch. Ich wußte, daß er weinte, obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Wie lange hatte er allein in der Bastille gesessen, allein in der Dunkelheit mit dem Blutgeruch und der leeren Hülse verübter Rache?
    »Es ist gut«, sagte ich und drückte die Hand fester auf seine Brust, wie um sein rasendes Herz zu beruhigen. »Jamie, es ist gut. Es... es war nicht deine Schuld.«

    »Ich bin mit dem Kopf gegen die Mauer gerannt, um nicht mehr daran denken zu müssen«, sagte er leise. »Da haben sie mich an Händen und Füßen gefesselt. Und am nächsten Tag hat mich de Rohan aufgestöbert und mir gesagt, daß du lebst, aber wahrscheinlich nicht mehr lange.«
    Er schwieg, aber ich spürte den Schmerz in seiner Brust.
    »Claire«, murmelte er schließlich. »Es tut mir leid.«
    Es tut mir leid. Diese Worte standen auf dem Zettel, den er mir hinterlassen hatte, bevor die Welt zusammenbrach. Aber jetzt verstand ich ihre Bedeutung.
    »Ich weiß. Jamie, ich weiß es. Fergus hat es mir erzählt. Ich weiß, warum du gehen mußtest.«
    Schaudernd holte er Luft.
    »Aye...«
    Ich legte meine Hand auf seinen Schenkel.
    »Als man dich gehen ließ, hat man dir da gesagt, warum du freigelassen wirst?« Vergeblich versuchte ich, ruhig zu atmen.
    »Nein. Nur... es sei der Wille Seiner Majestät.« Das Wort »Majestät« betonte er ein wenig, und in seiner Stimme lag eine verhaltene Wut, die verriet, daß er den Grund für seine Freilassung kannte, auch wenn die Wächter es ihm nicht gesagt hatten.
    Ich biß mir auf die Unterlippe und versuchte mich zu entscheiden, was ich ihm jetzt erzählen sollte.
    »Es war Mutter Hildegarde«, fuhr er mit fester Stimme fort. »Ich ging sofort ins Höpital des Anges, um dich zu suchen. Dort traf ich Mutter Hildegarde, und sie gab mir das Briefchen, das du für mich hinterlassen hattest. Sie... hat es mir gesagt.«
    »Ja«, antwortete ich und schluckte. »Ich habe den König aufgesucht.«
    »Das weiß ich!« Sein Griff um meine Hand wurde fester, und an seinem Atem hörte ich, daß er die Zähne zusammenbiß.
    »Aber Jamie... als ich zu ihm ging...«
    »Bei Gott!« Plötzlich setzte er sich auf und sah mich an. »Weißt du denn nicht, was ich... Claire.« Er schloß die Augen und holte tief Luft. »Als ich nach Oviedo ritt, sah ich es die ganze Zeit vor mir, seine

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