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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Glückwünsche oder Trost erhoffte. Schließlich war er erst zehn.
    Er runzelte die Stirn, und sein Gesicht verzog sich, als konzentrierte er sich intensiv.
    »Ich glaube wenigstens, daß ich ihn getötet habe. Er fiel um, und ich erstach ihn mit meinem Dolch.« Fergus sah mich verwirrt an, als erwartete er, ich könne ihm seine Zweifel nehmen.
    »Komm mit, Fergus«, antwortete ich statt dessen. »Du mußt etwas essen, und ich suche dir einen Schlafplatz. Denk nicht mehr daran.«
    »Oui, Madame.« Folgsam taumelte er hinter mir her; im nächsten Augenblick würde er stürzen und aufs Gesicht fallen. Ich
packte ihn und schleppte ihn mit einiger Mühe zu den Katen neben der Kirche, wo wir unser Lazarett hatten. Ich wollte ihm zuerst etwas zu essen geben, aber er schlief bereits tief und fest, als ich an die Stelle kam, wo O’Sullivan sich mit geringem Erfolg bemühte, die Verpflegung zu organisieren.
    So legte ich Fergus also in einer der Katen schlafen, in der eine Frau sich um die Kinder kümmerte, deren Mütter die Verwundeten pflegten. Hier war er bestimmt gut aufgehoben.
     
    Am Spätnachmittag befanden sich zwanzig bis dreißig Männer in der Kate, und meine beiden Helferinnen hatten alle Hände voll zu tun. Das Haus war groß genug für eine fünf- bis sechsköpfige Familie, doch jetzt war jeder Quadratzentimeter belegt. Durchs Fenster sah ich die Offiziere im Pfarrhaus ein und aus gehen. Dort herrschte Hochbetrieb, und ich ließ die Tür nicht aus den Augen. Doch Jamie war nicht unter den Ankömmlingen, die die Zahl der Verwundeten meldeten und Glückwünsche entgegennahmen.
    Ich verdrängte meine Unruhe und Sorge, indem ich mir sagte, daß er ja auch nicht unter den Verwundeten war. Bis jetzt hatte ich keine Zeit gehabt, das kleine Zelt am Hang aufzusuchen, wo die Toten in geordneten Reihen nebeneinanderlagen, als warteten sie auf einen letzten Appell. Doch unter den Toten war er bestimmt nicht.
    Bestimmt nicht, sagte ich mir.
    Da ging die Tür auf, und herein kam Jamie.
    Ich spürte, wie meine Knie nachgaben, als ich ihn sah, und ich streckte eine Hand aus, um mich am Kamin festzuhalten. Er hatte mich gesucht; sein Blick huschte durch das Zimmer, und als er mich entdeckt hatte, ließ ein atemberaubendes Lächeln sein Gesicht erstrahlen.
    Er starrte vor Schmutz, war vom Pulverdampf geschwärzt und mit Blut bespritzt, seine bloßen Füße waren ebenfalls schmutzverkrustet. Doch er war unversehrt. Und mit unwichtigen Einzelheiten wollte ich mich nicht abgeben.
    Einige der Verwundeten am Boden riefen ihm einen Gruß zu und lenkten seine Aufmerksamkeit von mir ab. Er lächelte George McClure zu, der seinen Anführer angrinste, obwohl sein eines Ohr nur noch mit einem Fetzen Haut am Kopf hing. Dann kehrte sein Blick zu mir zurück.

    Gott sei Dank , sagten seine dunkelblauen Augen, und Gott sei Dank gab ihm mein Blick als Antwort zurück.
    Für mehr hatten wir keine Zeit; immer wieder kamen neue Verwundete herein, und jeder halbwegs gesunde Zivilist im Dorf hatte bei der Pflege der Verwundeten irgendeine Aufgabe übernommen. Archie Cameron, Lochiels Bruder, war Arzt und eilte zwischen den Katen hin und her; er hatte offiziell die Leitung der Krankenstation inne und tat hie und da tatsächlich gute Dienste.
    Ich hatte veranlaßt, daß die Männer aus Lallybroch in meine Kate gebracht wurden. Ich untersuchte sie, schickte die Leichtverletzten zu Jenny Cameron am anderen Ende der Straße und die Todgeweihten zu Archie Cameron in die Kirche. Ich traute ihm zu, Laudanum zu verabreichen, und der Kirchenraum mochte den Schwerstverletzten zusätzlich Trost spenden.
    Ernste Verwundungen verarztete ich, so gut ich konnte. Knochenbrüche wurden nebenan behandelt, wo zwei Wundärzte aus dem Regiment von Macintosh Schienen und Bandagen anlegten. Soldaten mit leichteren Brustwunden wurden so bequem wie möglich an die Wand gelehnt - in sitzender Position, um ihnen das Atmen zu erleichtern. Da wir keinen Sauerstoff hatten und keine chirurgischen Eingriffe vornehmen konnten, waren meine Möglichkeiten damit erschöpft. Soldaten mit schweren Kopfverletzungen wurden zu den Sterbenden in die Kirche gebracht; ich konnte nichts für sie tun. Sie waren in Gottes Hand - wenn auch nicht in Archie Camerons Händen - besser aufgehoben.
    Am schlimmsten waren verletzte und verstümmelte Gliedmaßen sowie Bauchwunden. Es gab keine Möglichkeit zur Sterilisation. Das einzige, was ich tun konnte, war, mir immer wieder die Hände zu waschen und

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