Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
»Ich konnte nicht zurückkehren. Als die Schotten mich fanden, war ich auf der Flucht vor Hauptmann Randall. Die Gruppe um Jamie war gerade auf Viehdiebstahl. Es waren Männer vom Clan der MacKenzies von Leoch, der Familie seiner Mutter. Da sie nicht wußten, was sie mit mir anfangen sollten, haben sie mich als ihre Gefangene mitgenommen. Und so konnte ich nicht wieder fort.«
    Ich dachte an meine fruchtlosen Versuche, aus der Burg von
Leoch zu fliehen, und an den Tag, als ich Jamie die Wahrheit gesagt hatte. Er hatte mir nicht mehr Glauben geschenkt als Frank, aber zumindest war er bereit gewesen, so zu tun als ob - und hatte mich zu dem Feenhügel und dem Steinkreis gebracht.
    »Vielleicht hielt er mich für eine Hexe«, sagte ich, eine Vorstellung, bei der ich lächeln mußte. »In unserer Zeit gelte ich als verrückt, damals war ich eine Hexe. Was gerade so im Schwange ist«, erklärte ich. »Heute nennt man es Psychologie, damals war es Magie. Fragt mich nicht, worin der Unterschied besteht.« Roger nickte, offensichtlich verblüfft.
    »In dem Dörfchen Cranesmuir unterhalb der Burg«, fuhr ich fort, »hat man mir als Hexe den Prozeß gemacht. Aber Jamie hat mich gerettet, und dann habe ich ihm alles erzählt. Daraufhin brachte er mich zu dem Berg und sagte mir, ich solle zurückkehren. Zurück zu Frank.« Ich hielt inne und holte tief Luft. Deutlich stand mir jener Nachmittag im Oktober vor Augen, der Tag, als mir die Herrschaft über mein Schicksal plötzlich wieder in die Hände gelegt wurde - und ich nicht nur frei entscheiden konnte, sondern mußte.
    »Geh!« hatte er gesagt. »Auf dieser Seite gibt es nichts für dich! Nichts außer Gewalt und Gefahr.«
    »Gibt es hier wirklich nichts für mich?« hatte ich gefragt. Er, der Ehrenmann, hatte geschwiegen, und ich traf meineWahl.
    »Es war schon zu spät«, sagte ich und starrte auf meine Hände. Der Himmel hatte sich mit Regenwolken bezogen, doch meine beiden Ringe glänzten golden und silbern in dem allmählich blasser werdenden Licht. Als ich mit Jamie vermählt wurde, hatte ich Franks Goldreif nicht abgelegt. Statt dessen trug ich Jamies Silberring am Ringfinger meiner rechten Hand, und das nun schon seit mehr als zwanzig Jahren - seit er ihn mir angesteckt hatte.
    »Ich habe Frank geliebt«, fuhr ich fort, wobei ich Briannas Blick auswich. »Sehr sogar. Doch damals war Jamie schon zu einem Teil von mir geworden. Ich konnte ihn nicht verlassen, ich brachte es einfach nicht über mich.« Flehend sah ich zu Brianna. Sie starrte mich mit versteinertem Gesicht an.
    Und so sah ich wieder auf meine Hände hinab und fuhr fort: »Er brachte mich dann auf sein Gut. Es hieß Lallybroch und war wunderschön.« Um den entsetzten Ausdruck auf Briannas Gesicht zu entkommen, schloß ich die Augen, und sofort entstand vor meinem Geist das Bild von Broch Tuarach - oder Lallybroch, wie
es seine Bewohner nannten. Das malerische Anwesen war von Wäldern, Flüssen und sogar ein wenig fruchtbarem Ackerland umgeben - im Hochland eine Seltenheit. Dort herrschten Ruhe und Frieden, denn die hohen Berge schirmten es ab vor den Kämpfen, die die Highlands erschütterten. Doch selbst Lallybroch hatte uns nur vorübergehend Zuflucht bieten können.
    »Jamie war ein Geächteter«, erklärte ich und sah wieder die Narben vor mir, die die Peitschenhiebe der Engländer auf seinem Rücken hinterlassen hatten. Ein Netzwerk feiner weißer Linien, das die breiten Schultern wie Brandzeichen überzog. »Auf seinen Kopf war ein Preis ausgesetzt. Einer seiner Pächter verriet ihn an die Engländer. Und so wurde er gefangengenommen und ins Wentworth-Gefängnis geworfen. Er sollte gehängt werden.«
    Roger pfiff durch die Zähne.
    »Die reine Hölle!« meinte er. »Haben Sie es mal gesehen? Die Wände sind mindestens drei Meter dick.«
    Ich schlug die Augen auf. »Das stimmt«, entgegnete ich trocken. »Ich war drinnen. Doch selbst die dicksten Wände haben Türen.« Ich spürte etwas von jenem Mut der Verzweiflung, der mich ins Gefängnis geführt hatte, um meine Liebe zu retten. Wenn ich das damals für dich fertiggebracht habe, erklärte ich Jamie stumm, dann schaffe ich das hier auch. Aber hilf mir, du verdammter Schotte, hilf mir!
    »Ich konnte ihn retten«, sagte ich mit einem tiefen Seufzer. »Oder das, was von ihm übrig war. Der Kommandeur der Garnison in Wentworth hieß nämlich Jonathan Randall.« Den Bildern, die diese Worte in mir heraufbeschworen, wäre ich lieber ausgewichen, doch

Weitere Kostenlose Bücher