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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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verwirrt. Ein feuchtes Plaid lag um ihre Schultern, und unter dem durchweichten Samt ihres Morgenmantels lugten ihre schmutzigen Hausschuhe hervor. Als sie mich erblickte, trat sie rasch an meine Seite, als wäre sie dankbar für meine Gegenwart.
    »Ich w-wollte nicht hereinkommen«, wisperte sie mit einem scheuen Blick auf Hugh Munros Witwe, »aber Mr. Murtagh hat darauf bestanden.«
    Jamie runzelte fragend die Stirn, während Murtagh Mrs. Munro
respektvoll grüßte und sie auf gälisch ansprach. Murtagh sah aus wie immer, griesgrämig, aber tüchtig, doch mir fiel auf, daß seine Haltung noch mehr Würde zeigte als sonst. Vor dem Bauch trug er eine pralle Satteltasche. Vielleicht ein Abschiedsgeschenk für Mrs. Munro, dachte ich.
    Murtagh legte die Tasche vor mir auf den Boden. Dann richtete er sich auf und sah erst mich an, dann Mary, dann Hugh Munros Witwe, und zuletzt Jamie, der ebenso verdutzt wirkte wie ich. Nachdem Murtagh sich der Aufmerksamkeit seines Publikums vergewissert hatte, verbeugte er sich in aller Form vor mir, wobei ihm eine dunkle Locke in die Stirn fiel.
    »Ich bringe dir deine Rache«, sagte er gemessen. Dann richtete er sich wieder auf und verneigte sich nacheinander vor Mary und Mrs. Munro. »Und Gerechtigkeit für das Unrecht, das euch widerfahren ist.«
    Mary nieste und wischte sich hastig die Nase mit ihrem Plaid ab. Mit großen Augen starrte sie Murtagh an. Ich blickte auf die ausgebeulte Satteltasche, und die Kälte, die mir plötzlich über den Rücken kroch, hatte nichts mit dem Wetter draußen zu tun. Aber es war Hugh Munros Witwe, die auf die Knie niedersank, mit ruhiger Hand die Tasche öffnete und den Kopf des Herzogs von Sandringham herauszog.

45
    Verflucht seien die Randall
    Die Reise nach Schottland war beschwerlich. Wir mußten Umwege machen und stets auf der Hut sein, damit uns niemand als Hochländer erkannte. Deshalb konnten wir weder Lebensmittel kaufen noch betteln, sondern mußten uns da und dort ein paar Bissen aus unbewachten Schuppen stehlen oder uns mit den wenigen eßbaren Wurzeln begnügen, die ich auf den Feldern fand.
    Wir kamen unendlich langsam voran. Wir hatten keine Ahnung, wo sich die schottische Armee inzwischen befand, außer, daß sie nördlich von uns liegen mußte. Aus diesem Grund beschlossen wir, zuerst nach Edinburgh zu reiten, denn dort würden wir wenigstens Nachricht über den Fortgang des Feldzugs bekommen. Unsere Verbindung zur Armee war seit mehreren Wochen abgerissen. Soweit ich wußte, war es den Engländern nicht gelungen, Stirling zurückzuerobern. Jamie berichtete vom Sieg der Schotten in der Schlacht von Falkirk. Aber was war danach geschehen?
    Als wir endlich die Royal Mile erreichten, begab sich Jamie sofort ins Hauptquartier der Armee, während Mary und ich Alex Randalls Wohnung aufsuchten. Wortlos eilten wir die Straße hinauf, beide voller Angst, was wir dort vorfinden würden.
    Alex war da. Marys Knie gaben nach, als sie den Raum betrat und vor seinem Bett niedersank. Schlaftrunken öffnete Alex die Augen und blinzelte. Dann strahlte sein Gesicht, als sähe er eine überirdische Gestalt vor sich.
    »O Gott!« murmelte er immer wieder, den Mund in Marys Haar vergraben. »O Gott. Ich dachte... mein Gott, ich habe darum gebetet, dich noch ein einziges Mal zu sehen. Nur einmal. Mein Gott!«
    Einfach nur den Blick abzuwenden schien nicht zu genügen, also
ging ich hinaus ins Treppenhaus und setzte mich für eine halbe Stunde auf die Stufen, den müden Kopf auf die Knie gebettet.
    Danach kehrte ich in die Kammer zurück, die in den Wochen von Marys Abwesenheit wieder schmutzig und trostlos geworden war. Behutsam untersuchte ich Alex. Es überraschte mich, daß er so lange durchgehalten hatte. Viel Zeit würde ihm jetzt nicht mehr bleiben.
    Die Wahrheit, die er in meinem Gesicht las, überraschte ihn nicht, und er nickte.
    »Ich habe gewartet«, sagte er leise und sank erschöpft in die Kissen zurück. »Ich habe gehofft... sie würde noch einmal zu mir kommen. Ich hatte keinen Grund... aber ich habe darum gebetet. Und jetzt ist mein Gebet erhört worden. Jetzt kann ich in Frieden sterben.«
    »Alex!« Mary schrie gequält auf, als bereiteten seine Worte ihr körperliche Schmerzen, aber er lächelte nur und drückte ihre Hand.
    »Wir haben es die ganze Zeit gewußt, meine Geliebte«, flüsterte er. »Verzweifle nicht. Ich werde immer bei dir sein, dich beobachten, dich lieben. Weine nicht, meine Liebste!« Gehorsam fuhr sie sich über die

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