Die Geliehene Zeit
rosigen Wangen, konnte aber die Tränenflut nicht eindämmen. Trotz ihrer Verzweiflung hatte sie noch nie so blühend ausgesehen.
»Mrs. Fraser.« Alex mußte sich anstrengen, um mich noch um einen weiteren Gefallen zu bitten. »Ich möchte Sie fragen... morgen... können Sie morgen wiederkommen und Ihren Gemahl mitbringen? Es ist wichtig.«
Ich zögerte kurz. Ganz gleich, was Jamie in Erfahrung bringen mochte, er würde sofort aus Edinburgh aufbrechen wollen, um sich der Armee anzuschließen und den Rest seiner Männer zu suchen. Aber gewiß konnte ein weiterer Tag nichts am Ausgang des Krieges ändern, und die flehentliche Bitte, die aus den beiden Augenpaaren sprach, konnte ich einfach nicht abweisen.
»Wir kommen«, sagte ich.
»Ich bin ein Narr«, brummte Jamie auf dem Weg durch die steilen, kopfsteingepflasterten Straßen, die zu der Gasse führten, in der Alex Randall wohnte. »Wir hätten uns gestern sofort auf den Weg machen sollen, als wir deine Perlen beim Pfandleiher ausgelöst
hatten. Hast du eine Ahnung, wie weit es ist nach Inverness? Noch dazu mit diesen alten Kleppern?«
»Ich weiß«, erwiderte ich ungeduldig. »Aber ich habe es versprochen. Und wenn du ihn siehst, dann wirst du mich verstehen.«
»Mmmpf.« Aber er hielt mir ohne ein weiteres Wort der Klage die Tür zu dem baufälligen Haus auf und folgte mir die Treppe hinauf.
Wir fanden Mary halb sitzend, halb liegend auf dem Bett. Nach wie vor in ihr zerfetztes Reisegewand gekleidet, hielt sie Alex an sich gedrückt, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. So mußte sie die ganze Nacht bei ihm gelegen haben.
Als Alex mich erblickte, befreite er sich sanft aus ihrer Umarmung. Dann stützte er sich auf einen Ellbogen. Sein Gesicht war bleicher als das Leinen, auf dem er lag. Er lächelte matt.
»Mrs. Fraser, wie freundlich von- Ihnen zu kommen«, sagte er keuchend. Er sah sich um. »Ihr Gemahl... hat er sie begleitet?«
Wie zur Antwort trat Jamie hinter mir in den Raum. Mary, die durch unsere Ankunft aus ihrem Kummer gerissen wurde, sah mich und Jamie an. Dann stand sie auf und legte scheu die Hand auf seinen Arm.
»Ich... wir... b-brauchen Sie, Herr von Broch Tuarach.« Ich glaube, es war mehr das Stottern als die förmliche Anrede, die ihn rührte. Obwohl er immer noch finster dreinblickte, entspannte er sich etwas. Höflich verneigte er sich vor ihr.
»Ich habe Ihre Gemahlin gebeten, Sie mitzubringen, mein Herr. Wie Sie sehen, liege ich im Sterben.« Alex hatte sich aufgerichtet und auf die Bettkante gesetzt. Seine mageren Waden glänzten weiß unter dem verschlissenen Saum seines Nachthemds. Die langen, schlanken Zehen waren blutleer, die Nägel blau unterlaufen - Anzeichen von Durchblutungsstörung.
Ich hatte den Tod schon oft gesehen, in all seinen Erscheinungsformen. Diese war die schlimmste - und zugleich die beste: ein Mann, der dem Tod wissend und mutig entgegenblickt, während der Arzt mit seinen nutzlosen Künsten klein beigeben muß. Nutzlos oder nicht, ich stöberte in meinem Kasten nach dem Digitalis, das ich für ihn zubereitet hatte. Ich besaß mehrere Aufgüsse unterschiedlicher Stärke, Fläschchen mit Flüssigkeiten in verschiedenen Braunschattierungen. Ohne Zögern entschied ich mich für das dunkelste.
Es war nicht das Digitalis, das ihn nun aufrecht hielt, sondern sein Ziel; die wächserne Haut seiner Wangen rötete sich, als leuchtete eine Flamme in ihm. Das hatte ich schon einige Male beobachtet - bei Männern und Frauen, deren Wille stark genug war, um sich für einige Zeit über das Unabwendbare hinwegzusetzen.
Auf diese Weise, so ging es mir durch den Kopf, mochten Geister entstehen. Da, wo ein Wille und ein Ziel überlebten, während das schwache Fleisch verfiel. Doch ich wollte es tunlichst vermeiden, von Alexander Randalls Geist heimgesucht zu werden, und das war einer der Gründe, warum ich Jamie gebeten hatte, mich zu begleiten.
Jamie schien ähnlichen Gedanken nachzuhängen.
»Aye«, erwiderte er leise. »Ich verstehe. Wollen Sie mich um etwas bitten?«
Alex nickte und schloß die Augen. Dann nahm er das Fläschchen, das ich ihm reichte, und trank schaudernd die bittere Medizin. Er lächelte Jamie an.
»Nur um Ihre Gegenwart. Ich verspreche, Sie nicht lange aufzuhalten. Wir erwarten noch einen weiteren Gast.«
Während wir warteten, tat ich für Alex Randall, was in meinen Kräften stand, und das war nicht viel. Noch einmal verabreichte ich ihm Fingerhut sowie etwas Kampfer, um ihm das Atmen
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