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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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stehe auf, setze mich wieder. Stehe erneut auf. Wir glauben gern, wir wären komplizierte Wesen, aber manchmal hängen wir einfach genau zwischen widerstrebenden Impulsen fest und schwanken. Auf, ab, auf, ab. Ich bin ein Hund, der zwischen einem Steak und einem bequemen Stuhl hin- und hergerissen ist. Es zerfetzt mich geradezu. Auf, ab. Ab. Hm, nein. Auf.
    »Arschloch. Wenn ich dich sehe, tun mir Körperteile weh, die ich gar nicht näher beschreiben will. Der Schmerz befindet sich an einem so üblen und intimen Ort, dass dein Gemächt zu Wasser zerflösse, würdest du nur darüber nachdenken. Nein, ich mache keine Witze.«
    Ronnies Stimme. Nicht, dass ich halluziniere. Ich weiß genau, dass er nicht da ist. Aber ich höre auch, was er sagt, und weiß, wo er steht, und beobachte, wie er mit seinen dicken, hässlichen Fingern beiläufig eine obszöne Geste macht.
    »Komm schon, heraus damit.«
    So sprudelt alles in einem großen, furchtbaren Schwall aus mir hervor, ich breite es vor der leeren Luft aus, ohne etwas zu verbergen. Und Ronnie – der nicht da ist – schreitet ungeduldig hin und her.
    »Aua«, sagt er, als ich fertig bin und den Kopf hängen lasse. »Willst du wissen, was ich denke?«
    »Nein.«
    »Scheiß drauf. Ich sag's dir trotzdem.«
    »Geh weg.«
    Ronnie, der doch körperlos war, versetzt mir einen äußerst kräftigen Schlag auf die Nase. Eigentlich tut es nicht weh, aber wo seine Faust mein Gesicht trifft, wird es kalt. Ich schaudere, und in meinem Gehirn passieren kleine, wirre Dinge. Irgendwie vertreibt der Schlag die Flusen.
    »Arschloch, ich bin nicht hier, um mich zu amüsieren. Das kann ich mit meinen zwei Händen und einem Topf Reinol viel besser tun. Ich bin hier, weil du in deiner kleinen Weisheit die meine gesucht hast. Alles klar? Also sei nicht so ein Trottel und pass endlich auf.«
    Ich passe auf, aber auf eine mürrische Art und Weise, die ihm zeigt, dass ich es nur seinetwegen tue. Ich will seinen Rat nicht. Ich will überhaupt niemandes Rat haben.
    »Die Frage ist, ob du vor all den Jahren auf deinen Onkel Ron gehört hast, als er dir wichtige Wahrheiten ins Ohr flüsterte. Oder ob du dir lieber einen runtergeholt hast. Erinnerst du dich an meinen Kurs in taktischem Autofahren?«
    »Ja.«
    »Erinnerst du dich wirklich auch an alle Einzelheiten?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ziemlich sicher nicht, denn ich bin ein Quell der Weisheit, und du bist eine Flasche. Egal. Was ich dir jetzt sagen werde, ist im Grundkurs nicht vorgekommen. Ich glaube aber, du hast den fortgeschrittenen belegt, oder?«
    »Ja.«
    »Im Fortgeschrittenenkurs haben wir über längere Missionen gesprochen, die mehr Gelegenheiten bieten, vorher zu planen. Anders ausgedrückt, es waren Fahraufträge mit strategischen und logistischen Komponenten. In diesem Zusammenhang haben wir den Wert der Ortskenntnis behandelt. Es ging darum, die Ziele des Feindes zu erkennen und den ganzen Schauplatz aufzuklären. Ohne ein klares Bild von dem, was in deiner Umgebung passiert, ist jede Entscheidung, die du triffst, für den Arsch. Kapiert? Begreifst du das?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Sag: Ja, Ronnie, ich hab's geschnallt.«
    »Ja, Ronnie, ich hab's geschnallt.«
    »Also gut. Du bist also im Arsch. Habe ich recht?« Ronnie Cheung gibt mir winkend zu verstehen, dass ich antworten soll.
    »Ja, Ronnie, du hast Recht.«
    »Ja, ich habe Recht. Du bist im Arsch. Du willst aber unbedingt nicht mehr im Arsch sein. Nicht mehr im Arsch zu sein, ist jedoch erheblich schwieriger, als im Arsch zu sein. Das zweite Gesetz der Thermodynamik – denn wenn du auch nur eine Sekunde geglaubt hast, du wärst gebildeter als ich und mir deshalb überlegen, du Arschloch, dann hast du dich geirrt – das zweite Gesetz der Thermodynamik sieht es nämlich gar nicht gern, wenn jemand, der im Arsch ist, wieder herauskriecht. Das Maß des Im-Arsch-Seins nimmt in einem gegebenen System ständig zu, falls nicht irgendetwas von außen darauf einwirkt. Noch schlimmer, Arschloch, du hast nicht einmal den Arsch unter Kontrolle, in dem du bist. Du hast noch gar nicht voll erkannt, wie tief du im Arsch bist. Du kannst doch nicht hoffen, deine Situation zu verbessern, wenn du nicht mal weißt, wie sie aussieht.«
    »Das ist mir klar.«
    »Ich glaube nicht.«
    »Doch!«
    »Dann erklär mir doch mal, Arschloch, wieso du nicht tot bist, sondern warum du gesund und munter hier herumspringst, obwohl du Schüsse in den Bauchraum bekommen hast. Erkläre mir, warum dein alter

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