Die Genesis-Affäre: Mind Control (German Edition)
gewissenhaft zu entscheiden, was sie vor der Kamera preiszugeben beabsichtigte. Sie wollte keine Schuld auf sich laden, Karriere hin oder her. Als sie am Europa-Center eintraf, dachte sie an ihren Geburtstag und daran, ob diese Story für ihre journalistische Arbeit ein Glücksfall war oder eher nicht.
Was sie am Europa-Center erwartete, überraschte sie nicht sonderlich, nachdem das Fax über die Geiselnahme den Bundespräsidenten erreicht hatte. Das gesamte Gelände um das Center herum war abgesperrt, kein Fahrzeug fuhr mehr und das Europa-Center war komplett evakuiert worden. Das Straßenbild wurde von Streifenwagen und schwarzen Limousinen mit zuckenden Blaulichtern beherrscht, rundherum überall rot-weiße Polizeiabsperrbänder. Unwillkürlich sah Lena Jansen auf die Dächer der Häuser an der Budapester Straße und auf der anderen Seite an der Tauentzienstraße. Überall sah sie schwarz gekleidete Scharfschützen mit Sturmmasken und Präzisionswaffen im Anschlag, die auf die zwanzigste Etage des Europa-Centers gerichtet waren. Selbst gegenüber auf der Gedächtniskirche verschanzten sich Polizisten.
Bei diesem Aufgebot an SEK-Kräften war es gar nicht mehr zu vermeiden, dass die nächsten Nachrichtensendungen von diesem Ereignis dominiert würden. Welche Skrupel sollte Lena Jansen also haben, selbst weiterhin darüber zu berichten?
Mit dem Europa-Center im Rücken stellte sie sich direkt vor ein Absperrband und nahm ein Mikrofon, während der Kameramann sie in der Halbtotalen ins Bild nahm.
»Wir befinden uns hier vor dem Europa-Center im Zentrum von Berlin.« begann Lena Jansen ihren Beitrag. »Vor wenigen Minuten haben im Restaurant in der zwanzigsten Etage Terroristen Geiseln genommen. Wir wissen zur Stunde noch nicht, um wie viele Personen es sich handelt und vor allem, wie es den Geiseln geht. Es liegt der begründete Verdacht nahe, dass ein enger Zusammenhang zu einem Terroranschlag besteht, der heute auf das Frankfurter Bankenviertel verübt wurde. Sobald wir Näheres wissen, werden wir uns wieder melden.«
Ein Übertragungswagen übertrug ihren kurzen Beitrag direkt zum Satelliten. Schon vor Stunden hatte Fechner die Anweisung herausgegeben, Lena Jansens Beiträge live zu senden. Er vertraute ihr voll und ganz, dass sie nichts Unüberlegtes tat. Gern wäre er selbst zum Tatort gefahren, aber er wurde dringend im Funkhaus benötigt, um wichtige Entscheidungen in diesem Fall treffen zu können.
Aus der Menge der Schaulustigen löste sich Patrick LeClerc, der direkt vom Schloss Bellevue hierher gekommen war, und ging zu Lena Jansen hinüber. Gleichzeitig entdeckte Lena wenige Meter entfernt den von Reportern umringten Polizeisprecher. Als sie sich zu ihm durchkämpfte, winkte sie LeClerc zu, um auf sich aufmerksam zu machen. Insgesamt lag Hektik über dem Platz, jeder der Schaulustigen glaubte, etwas zu wissen oder etwas zu entdecken. Manche zeigten hinauf zur zwanzigsten Etage, obwohl aus dieser Distanz nichts auffallen konnte, selbst wenn Ruschkow, oder eine der Geiseln, sich am Fenster zeigen würde.
»Was wissen Sie über die Geiseln?«, rief Lena dem Polizeisprecher zu und streckte ihm das Mikrofon über die Köpfe anderer Reporter entgegen.
»Soweit uns bekannt ist, handelt es sich um nur eine Geisel. Er soll Privatermittler sein.«
Lena Jansen glaubte, sich verhört zu haben.
»Habe ich Sie richtig verstanden? Es handelt sich um einen Privatermittler?«
»Ja«, bestätigte der Sprecher, »nach unseren gegenwärtigen Erkenntnissen ist es so.«
Lena Jansen fiel ein Stein vom Herzen. Axel Talert lebte also, doch die Situation war deshalb nicht entspannter. Jeder wusste, wie unberechenbar Jan Ruschkow war. Eine Geisel in seiner Gewalt befand sich unweigerlich in akuter Lebensgefahr.
»Lena!«, rief plötzlich jemand. Als sie sich umsah, kam ein Techniker wild gestikulierend angerannt. »Ruschkow hat Kontakt mit uns aufgenommen. Wir haben auf unserem Notebook eine Videokonferenz laufen.«
Jansen und LeClerc hasteten zum Übertragungswagen, der nur wenige Meter entfernt in einer Seitenstraße parkte. Dort angekommen sah sie Ruschkow auf dem Display, der Talert mit einer Waffe in Schach hielt. Ruschkow war ihr noch nie sonderlich sympathisch gewesen, aber in diesem Moment empfand sie beispiellosen Hass. Sie stellte sich vor, wie sie ihm entschlossen gegenübertreten und unverhohlen ihre Meinung mitten ins Gesicht blasen wollte.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte LeClerc, der ihr ansah,
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