Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
hatten. Der Gugelhupf schmeckte recht gut, aber das war ja nicht das Problem. Also bereiteten wir gleich den nächsten Gugelhupf zu. Bei dem waren die Rosinen allerdings im ganzen Teig gleich verteilt. Was hatten wir anders gemacht?
Es wurden noch viele Gugelhupfe hergestellt, und zwar solange, bis wir auf des Rätsels Lösung kamen. So haben wir pro Tag rund drei bis fünf Gugelhupfe gebacken und jedes Mal einen Parameter verändert. Wir konnten das Zeug nicht mehr sehen, geschweige denn essen. Also verteilten wir das Backwerk großzügig an die Institute. Ein Professor vom Institut für Theoretische Physik hatte damals einen berühmten Physiker zu Gast und bat, ob er ihn nicht zum Mittagessen mitbringen dürfe. Wir bastelten nämlich zu diesem Zeitpunkt auch am Gulasch „Rapid“. Wir versprachen, die illustren Gäste mit Gulasch und Gugelhupf zu begrüßen. Allerdings passierte mir in der Aufregung beim Gugelhupf ein Fehler. Da es sich noch um eine ältere Backform handelte, nicht so wie die neumodischen aus Teflon, musste diese noch mit Butter ausgestrichen und anschließend mit Mehl bestäubt werden. Ich vergaß jedoch auf das Mehl. Der Gugelhupf ging nicht aus der Form heraus – ich wäre am liebsten im Boden versunken. In ein paar Minuten würden unsere Gäste kommen, was war zu tun? Wie schnitten schließlich den Gugelhupf in kleinen, rechteckigen Stückchen aus der Form heraus und boten das Ganze als original „Wiener Schnittkuchen“ an. Diese Strategie funktionierte tadellos – ich hoffe, der Kollege aus Russland wird nie in einer Wiener Konditorei nach einem original „Wiener Schnittkuchen“ fragen ...
Aber zurück zum eigentlichen Problem: Warum sinken bei manchen Gugelhupfen die Rosinen und bei anderen nicht? Ich glaube, wir buken fast 30 Gugelhupfe, und wir hatten immer noch keine Lösung. Endlich entstand die Idee, dass der Teig während des Backens seine Viskosität verändern könnte. Aber wie kann man dies messen? Natürlich ist es dann von Vorteil, wenn man von der Ausbildung ein Experimentalphysiker ist, der auch Zugang zu Röntgengeräten hat. Wir wollten den Gugelhupf während des Backens röntgenisieren und nachsehen, wo sich denn die Rosinen befinden. Schwierige Aufgaben bedürfen kreativer Lösungen. Wir hatten schon alles vorbereitet und wollten am nächsten Tag das Experiment durchführen. Am Abend vor dem Schlafengehen kam mir die Königsidee – wir brauchten keinen Röntgenapparat. Das Problem war viel einfacher. Wir hatten in den vergangenen Tagen immer am Teig experimentiert, aber dabei mit den Rosinen wenig gemacht. So entstand eine neue Hypothese: Die Rosinen wurden nicht richtig verteilt. Gibt man die Rosinen erst ganz zum Schluss in den Teig, so verrührt man sie, aber sobald sie einen Zentimeter im Teig verschwunden sind, weiß man nicht mehr, wo sie sind. Möglicherweise verteilt man die Rosinen einfach zu wenig.
Diese Hypothese kann man mit einem Experimentalgugelhupf überprüfen. Dazu nimmt man eine Gugelhupfform, bestreicht sie auf der Innenseite mit Butter und bemehlt sie. Dann gibt man etwas Teig hinein – der Boden sollte gut bedeckt sein. Der Teig sollte rund einen Zentimeter dick sein. Darüber streut man Rosinen, und darauf kommt wieder etwas Teig, dieses Mal sollten es rund zwei Zentimeter sein. Darauf folgen wieder Rosinen und so weiter, bis man keine Rosinen mehr hat oder der Teig ausgegangen ist. Ab ins Backrohr und abwarten. Die Schichtung sollte eigentlich erhalten bleiben, wenn die Hypothese richtig ist. Nach 75 Minuten wussten wir es und jubelten: Die Schichtung blieb erhalten. Damit hatten wir das Wiener Rosinengugelhupfproblem gelöst.
Interessanterweise kann damit auch noch ein anderes genauso schwerwiegendes Problem gelöst werden. Nicht alle wollen Rosinen, und dieses Wollen und Nichtwollen zieht sich quer durch Familien. Deshalb wird sicher in manchen Familien kein Gugelhupf mehr gebacken. Schade, denn wir haben die Lösung. Stellen auch Sie einen Experimentalgugelhupf her und unterteilen Sie den Gugelhupf in vier Quadranten. Einen Quadranten bestreuen Sie mit Rosinen, einen mit Schokostückchen, einen mit Aranzini, und einen Bereich lassen Sie frei – für die Gugelhupfspartaner.
Wenn wir einen Gugelhupf backen, müssen wir uns entscheiden: zwischen einem Germgugelhupf (Hefenapfkuchen), wie er am Lande üblich ist, oder einem Gugelhupf aus Rührteig. Übrigens haben wir unsere Experimente mit Rührteig durchgeführt.
Von Torten und
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