Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
Vom Netzwerk:
das Hauptgebäude der Wetterstation zu. »Ich weiß über Ihren neuen Einsatz Bescheid. Wird Ihnen sicher guttun, mal die Seeluft zu schnuppern.«
    Während ich ihm folgte, fragte ich mich, wie viel er über Vawards Anweisungen an mich wusste. Ich wollte das Thema aber lieber nicht ansprechen. Dann verriet Stagg, der zügig weiterging, mir selbst etwas Unerwartetes.
    »Geben Sie Ihr Bestes, was auch immer Ihr Auftrag von Sir Peter ist. Ich habe Sie für später zu meiner Unterstützung angefordert - ich brauche jemanden, der sich mit Mathematik auskennt -, aber er hat mir gesagt, dass er Ihnen einen anderen Auftrag gegeben hat, den Sie erfüllen müssen, bevor Sie wieder für mich arbeiten können.«
    Als ich von meinem Lager in der Kate aus den Schiffen auf dem Loch zuhörte - manchmal knallte eine Signalpistole -, hatte ich keine großen Hoffnungen, die Erwartungen von Stagg und Sir Peter zu erfüllen. In der Abenddämmerung nickte ich trotz des pochenden Knöchels und der krächzenden Krähen vor dem Haus halb ein und bekam eine Panikattacke, ich hatte das Gefühl zu fallen – rückwärts und immer weiter einen schlammüberfluteten Berghang hinab.
    Ich träumte nicht. Irgendwie funktionierte meine Wahrnehmung, während ich gleichzeitig fast schlief ... und das, was ich in dieser Dämmerwelt, in meiner fallenden Angst wahrnahm, waren die kriechenden, stolpernden Umrisse meiner Eltern. Blasse, gequälte Formen, wiedererwachte Skelette, die mir aus dem tiefen, tödlichen Schlamm die Arme entgegenreckten.
    Hinter ihnen erstreckte sich eine Straße voller halbtoter Körper von Afrikanern, die sich alle in einem entsetzlichen Chaos wanden und Schlamm einatmeten, während die Grenzsteine der Straße zu beiden Seiten in die Höhe flogen.
     
     

APRIL
1.
    Der Frühling kam, aber mir erschien er nicht wie ein Segen. Ich hörte den Wind in den Buchen singen, aber er klang traurig, obwohl der Winter vergangen war. Die Mücken kamen in diesem Jahr sehr früh und waberten beim Gehen um mich herum wie meine persönliche Wolke, um dann zu landen und mir fürchterliche Stiche zu verpassen, die heftig anschwollen. Ihr Flug wirkte chaotisch, aber wie Mackellar gesagt hatte, reagierten sie auf Störungen und versammelten sich immer dort, wo jemand die Luft in Bewegung versetzte.
    Auf dem Loch, von Salzwasser umgeben, waren die Besatzungen der
Förth, Titania
und
Alrhoda
vor dieser Plage sicher, aber an Land gab es kein Entrinnen. Ryman gab mir etwas von seinem selbstgemachten Mückenmittel - einer Mixtur aus Rosenwasser und Vaseline -, aber ich musste trotzdem aufpassen, so wenig Haut wie möglich unbedeckt zu lassen. Die ganze Zeit zuckte, zappelte und schlug ich um mich wie ein Pferdeschweif. An manchen Abenden, wenn sie zu Tausenden ausschwärmten, konnte man sich nur noch in die Badewanne flüchten und dort bleiben, bis die Stiche abgeschwollen waren.
    Das tat ich oft, und während ich dalag, fragte ich mich, wie ich die Informationen, die ich brauchte, aus Ryman herausbekommen würde. Ich fühlte mich gefangen, unbeweglich, passiv. Es ist erstaunlich, dass solche Erfahrungen in den Annalen der Menschheit so selten zu finden sind - ich nehme an, es liegt daran, dass wir der Nachwelt lieber aktive Tatkraft und außergewöhnliche Dinge zeigen wollen und nicht das übliche Schwimmen gegen den Strom der Zeit, bei dem man nichts erreicht als ein höheres Alter.
    Ich wollte wirklich nicht mehr in Kilmun bleiben, aber die Niederlage konnte ich mir auch nicht eingestehen. Allerdings nicht, weil ich mich nach dem Erfolg sehnte (so erwachsen war ich mittlerweile geworden), sondern einfach nur aus Sturheit. Wegen einer Art Reibung gegen die Welt. Weil es eine Tugend an sich war, nicht aufzugeben.
    Doch mit einem Rezept für Mückenmittel würde Sir Peter sich sicher nicht zufriedengeben. Also sah es - wie damals immer in meinen Gedanken - so aus, dass er wohl unzufrieden sein und meine Erklärung abwarten würde.
    Wenn die Mücken sich verzogen hatten, stieg ich manchmal aus dem sicheren Bad und ging mit nacktem Oberkörper nach draußen, als könnte es mich aus meiner Falle befreien, wenn ich den Abendhauch auf dem Körper spürte. Es gab in Nyasaland einen Stamm, dessen Schamanen glaubten, die Zukunft aus dem Wind auf ihrer Haut vorhersagen zu können. Diese Vorstellung geht auf einen gewissen volkstümlich gesunden Menschenverstand zurück, aber den Generälen würde sie nicht reichen, auch wenn ich vermutete, dass sie von der

Weitere Kostenlose Bücher