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Die Geometrie der Wolken

Die Geometrie der Wolken

Titel: Die Geometrie der Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Foden
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ein vielschichtiger Mann. Im August 1939 - das wussten Sie vielleicht noch nicht - fuhr er nach Danzig. Kurz vor der deutschen Invasion Polens. Er wollte die Zeit unmittelbar vor dem Krieg wohl selbst miterleben. Als Teil seiner sogenannten Friedensstudien.«
    Plötzlich fiel mir wieder der Ordner mit der Aufschrift
Reise nach Danzig und Berlin
ein, den ich in Rymans Büro gesehen, aber nicht geöffnet hatte.
    »Auf der Rückreise machte er einen Abstecher nach Berlin«, setzte Vaward fort. »Dort traf er sich mit dem bekannten Quäker Corder Catchpole. Catchpole ist ein Kriegsdienstverweigerer, wie die meisten von denen: War im Ersten Weltkrieg mit Ryman in der Friends Ambulance Unit. 1939 war Catchpole bereits Repräsentant der Quäker in Berlin. Er versuchte, den Krieg zu verhindern, indem er inoffizielle Kommunikationskanäle offenhielt. Er wurde selbstverständlich von unseren Agenten beobachtet. Als er sich mit Ryman traf, fanden wir heraus, dass der Geheimdienst der Nazis ihm auch auf den Fersen war. Sie wollten Ryman also schon damals und waren sich über die Bedeutung seiner Arbeit im Klaren. Die meisten großen deutschen Wissenschaftler, die sich für das Wetter interessierten, wie Theodore von Kärmän, waren in den Dreißigern nach Amerika geflohen, weshalb Deutschland auf dem Gebiet aufzuholen hatte. Ich nehme an, dass sie glaubten, Ryman würde sich aufgrund seiner pazifistischen Überzeugung zum Überlaufen bewegen lassen. Und als einer unserer Leute hörte, wie er sich in Berlin von seinem Hotelier mit den Worten »Heil Hitler und King George« verabschiedete - da fingen wir ehrlich gesagt auch an, an seiner Loyalität zu zweifeln. In Wirklichkeit wollte er aber mit militärischer Arbeit auf beiden Seiten nichts zu tun haben.«
    Ich erzählte Vaward von dem Ordner. »Ja, den kennen wir«, sagte er. »Der Geheimdienst hat das Haus durchsucht. Es sind nur ein paar Zeitungsartikel über Danzig, einer davon von Ryman selbst, in dem er seinen Aufenthalt beschreibt. Wir haben auch mit Mrs Ryman über die Loyalität ihres Ehemanns gesprochen.«
    Ich hatte das Gefühl, sie beschützen zu müssen. »Sie haben hoffentlich Rücksicht auf sie genommen.« Beim Sprechen spürte ich wieder in den tiefsten Tiefen meiner Seele diese ungeheure Sehnsucht, die ihr Objekt in Gill fand.
    Er nickte, und ein geduldiges Lächeln huschte über sein mondartiges Gesicht.
    »Wissen Sie, was passiert ist - wie die Schwangerschaft ausgegangen ist?«, fragte ich. »Ist sie wieder in Schottland?« Ich sah sie vor mir, allein in dem kargen Haus.
    »Ich weiß nicht, was mit dem Kind geschehen ist. Nur, dass sie beschlossen hat, für immer auf der Isle of Wight zu bleiben.«
    »Haben Sie zufällig ihre Adresse? Ich sehe es als meine Pflicht an, ihr zu schreiben.«
    »Das glaube ich Ihnen gerne. Leider habe ich sie aber nicht.«
    Er steckte sich eine neue Zigarette an, wobei kurz seine Zungenspitze zu sehen war.
    »Ahm«, fragte ich emotional völlig ausgelaugt, »können Sie mir auch eine geben, Sir?«
    »Aber natürlich. Die haben Sie sicher bitter nötig.« Er lehnte sich vor und zündete sie mir an. Dabei rutschte ihm der braune Ordner vom Schoß, fiel auf den Boden und verstreute die Seiten von Whybrows Schreibmaschine. Es sah aus, als wären es mehrere Quadratmeter, die sich da über den Teppich verteilt hatten.
    »Verdammt«, fluchte Sir Peter. »Heben Sie die bitte mal auf.«
    Er sah hinunter auf die Blätter, als handelte es sich um etwas völlig Unwichtiges, und als ich sie auflas, spielte ich ähnliches Desinteresse vor und wandte die Augen gezielt ab.
    »Und jetzt sagen Sie mir, Henry«, sagte er, als ich ihm den Ordner zurückgegeben hatte, »Konnten Sie nun etwas Neues über die Anwendung der Ryman-Zahl auf den Invasionsort in Erfahrung bringen?« Er sah mich nicht an wie jemand, der mir einen Rettungsring anbot, sondern wie einer, der selbst einen brauchte.
    Ich wusste, dass dies jetzt meine Chance war. »Ich habe etwas erfahren, Sir. Kurz vor seinem Tod hatte ich ein längeres Gespräch mit Ryman.«
    Plötzlich leuchtete Sir Peters blasses Gesicht auf. »Darüber, wie seine Zahl uns bei der Suche nach dem richtigen Datum für die Landung hilft?«
    »Ja, nur glaube ich, dass wir uns nicht zu sehr auf das Datum konzentrieren sollten, was die Invasionsplanung angeht.«
    »Worauf denn dann?«
    »Als ich mit ihm direkt über die Landung gesprochen habe, sagte er, wichtiger seien eher die Daten als das Datum.«
    Sir Peters

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