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Die gepluenderte Republik

Titel: Die gepluenderte Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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wie der Deckel auf den Topf. Schon Max Weber führte das Entstehen dieser Ideologie auf den aufkommenden Kapitalismus des 16. Jahrhunderts zurück. Das Gegenteil ist die Hackerethik. Ihre Kennzeichen sind Leidenschaft, Spaß und Freude gegenüber der selbstgewählten Arbeit, weitreichende Freiheit und Frei zügigkeit sowie die freie Zeiteinteilung. Computergenie Steve Wozniak
(Apple)
erfand dafür die Formel H = F3: Happiness = Food, Fun and Friends.
    Obwohl also unmittelbar einleuchtet, dass Menschen, die sich nur über »mein Porsche, mein Landsitz, meine Yacht, mein Aktienpaket« definieren, zu bedauern sind – und nicht selten so tragisch enden wie der Pharmamilliardär und Selbstmörder Adolf Merkle –, so beantwortet dies noch nicht die Frage nach der Herkunft unserer moralischen Grundsätze:
    Warum helfen Normalbürger einer gestürzten Frau auf die Beine und reißen ihr nicht die Handtasche weg? Wie erklärt sich Sozialverhalten wie Altruismus und Solidarität, wie wir sie bei den Hochwasserkatastrophen an Oder und Elbe erleben konnten? Was bringt die meisten Menschen dazu, auf Diebstahl öffentlichen Eigentums etwa durch Steuerhinterziehung zu verzichten?
    Diese Frage wurde ausgerechnet von Papst Benedikt problematisiert, und zwar in der Enzyklika »Spe salvi« vom 30. November 2007. 260 So würdigt er durchaus die Klassenanalyse von Karl Marx. Er habe »zwar sehr präzise gezeigt, wie der Umsturz zu bewerkstelligen ist«, aber »den Menschen vergessen, und er hat seine Freiheit vergessen. Er hat vergessen, dass die Freiheit immer auch Freiheit zum Bösen bleibt. Er glaubte, wenn die Ökonomie in Ordnung sei, sei von selbst alles in Ordnung.« Demgegenüber meint Benedikt: »Auch die besten Strukturen funktionieren nur, wenn in einer Gemeinschaft Überzeugungen lebendig sind, die die Menschen zu einer freien Zustimmung zur gemeinschaftlichen Ordnung motivieren können. Freiheit braucht Überzeugung; Überzeugung ist nicht von selbst da, sondern muss immer wieder neu gemeinschaftlich errungen werden.«
    Dieser Streit allerdings ist alles andere als einer um des Kaisers Bart: Die Sowjetunion ebenso wie die DDR haben schließlich eindrucksvoll bewiesen, dass sich die Menschen und erst recht ganze Völker nicht zu ihrem vermeintlichen Glück zwingen lassen. Der von Marx und Engels suggerierte Automatismus »Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein« 261 wurde offenbar von der Realität eindrucksvoll in Frage gestellt.
    Eine Antithese zu diesem Gesellschaftsmodell formulierte Mao Zedong bereits 1937:
    »Die Grundursache der Entwicklung eines Dinges liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb desselben; sie liegt in seiner inneren Widersprüchlichkeit. Allen Dingen wohnt diese Widersprüchlichkeit inne, und sie ist es, die die Bewegung und Entwicklung dieser Dinge verursacht.« 262 Auf Deutsch: Letztlich sind es die Menschen, die sich ihre Gesellschaft wählen und einrichten müssen.
    Hier sind sich Mao und der Papst auf skurrile Weise sehr nahe,wobei der Papst als Grund für das Gute im Menschen selbstverständlich den lieben Gott nennt, während Mao sich um eine Antwort schlicht herumdrückt. Es bleibt allerdings ohnehin die Frage, ob man nicht gewisse Probleme der menschlichen Entwicklung lieber als gegenwärtig unlösbar akzeptieren sollte, ehe man das »gemeine Volk« mit Dingen bombardiert, die weniger mit seriöser Religionsphilosophie als vielmehr mit Aberglauben zu tun haben. Wer sonntags zum Gottesdienst rennt, sich montags in vollem Ernst die Tarot-Karten legt und am Freitag den 13. nicht aus dem Haus geht, mag ein liebenswerter Mensch sein – ein Christ im Sinne des Neuen Testaments ist der ganz sicher nicht. Und wer Eroberungskriege zur Sicherung »unserer« Erdölvorräte befürwortet, erst recht nicht.
    Die Frage also, welchen Weg unsere Gesellschaft nimmt, ist grundsätzlicher und tiefgehender als die rein ökonomische nach dem Weg aus irgendeiner Finanzkrise. Dass viele Meinungsträger die Forderung nach einer menschenwürdigen Gesellschaft als Parole von »Weicheiern« diffamieren und ihre eigene Lebensqualität nur in Euro und Cent definieren können, sollte die Bürger dieses Landes nicht abschrecken.

Anhang
»Wie alles begann« – Die Krisenchronik
     
    Natürlich wollen viele, die Mist gebaut haben, ihren Mist zum »Schnee von gestern« erklären. Die Leidtragenden aber wollen oder sollten es lieber mit einem Lied von Reinhard Mey halten und sich

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