Die geprügelte Generation
nicht anders geworden.«
Jedes Wochenende fuhr Henning mit Vater, Mutter und Schwestern raus aufs Land. »Wir gingen wandern und Pilze suchen. Als wir älter wurden, spielten wir jeden Sonntag gemeinsam. Von nachmittags drei Uhr bis abends um sechs zum Abendbrot. Erst Kinderspiele, später haben wir fast jedes Wochenende Doppelkopf gespielt. Es gibt«, fügte Henning hinzu, »Brüche im Bild meines Vaters.«
Erich, dessen Vater sich so sehr bemüht hatte, seinem Sohn verständlich zu machen, wie es ihm als junger Mann im sogenannten »Dritten Reich« ergangen war – Erich hat sich mit diesem Vater erst versöhnen können, als er selbst Vater einer Tochter wurde. Bis dahin hatten beide ein sehr angespanntes Verhältnis. Vor allem während der Zeit von Erichs politischem Engagement nach 1968. Anfangs schleppte er noch alle Broschüren, die seine linke Kadergruppe herausgab, mit nach Hause. Versuchte, seine Eltern von seiner Sicht des Weltgeschehens zu überzeugen. Ihnen klar zu machen, wie wichtig sein politisches Engagement sei, und dass man doch unbedingt den Kapitalismus mit all seinen negativen Auswirkungen bekämpfen müsse. Doch es gelang ihm nicht. Auf Seiten seiner Eltern herrschten Ratlosigkeit und Unverständnis.
In dieser Zeit kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit seinem Vater darüber, dass dieser sich als 17-Jähriger freiwillig in den Krieg gemeldet hatte. »Ich hab das meinem Vater permanent um die Ohren gehauen. Da sind die Fetzen geflogen, wir habendie Türen geknallt, da ging’s also richtig rund.« Erichs Vater reagierte entnervt. »Der war völlig fertig. Der hat mir vorgeworfen, du hast ja keine Ahnung.« Doch Erich wollte sich auf diese Argumentation nicht einlassen. »Das hat man in dem Alter nicht akzeptiert. Vieles begreift man ja erst jetzt. Unter welchen Bedingungen diese Generation gelebt hat. Aber ’68, das war die absolute Rebellion. Und wahrscheinlich auch der Versuch der Befreiung. Weil ich ja viele Hypotheken mitbekommen habe.« So zum Beispiel die ständige Erinnerung an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Onkel. »Ich trage den Namen von Vaters Lieblingsbruder. Ich bin am gleichen Tag geboren wie dieser Bruder. Das war schon eine Hypothek.«
Erst als sie dann Großeltern wurden, nachdem Erichs Tochter geboren war, »änderte sich das Verhältnis, da hat man sie ja teilweise auch gebraucht. Außerdem war klar, sie haben ein Anrecht auf das Kind. Und das Kind hat ein Anrecht auf Großeltern.« Diese Entwicklung ging eher stillschweigend vor sich. Es wurde nie darüber gesprochen, wieso es das lange Schweigen gegeben hatte. Offenbar dachte sich jeder seinen Teil, wollte nicht an Wunden rühren, war froh, dass sich dann doch noch etwas tat.
Wini hat sich sehr früh schon von seinen Eltern emanzipiert. Gleich zu Beginn seiner Gymnasialzeit. Als er damals in Baden-Württemberg in die fünfte Klasse ging, kam er nach der ersten Lateinstunde stolz nach Hause. Zehn Vokabeln sollte er lernen. Seinen Vater bat er, ihn abzuhören. Doch der hatte keine Ahnung von Latein, »lachte sich fast krank«, so Wini, als er hörte, was sein Sohn da lernen sollte. »Damit war für mich klar, von meinen Eltern kann ich keinerlei Unterstützung im Bereich dieser schulischen Bildung kriegen. Diesen Weg muss ich allein gehen. Von da an war meine Haltung so: Die sollen schwätzen, was sie wollen. Die sollen mir grad’ mal den Buckel runterrutschen. Die durchblickten überhaupt nicht, was das für eine Arbeit war. Das war für mich ein ganz entscheidender Knackpunkt, mich von den Eltern zu emanzipieren.«
Sobald Wini ein Schulbuch benötigte, »ging jedes Mal die Litanei los, die mir meine Mutter vorgehalten hat: was ich alles koste und wie wenig ich es danke«. Das führte dazu, dass Wini ab dem vierzehnten Lebensjahr in den Ferien jobbte, damit er sich seine Hefte selber kaufen konnte, sich die Vorwürfe nicht mehr anhören musste. Eng wurde es, als er auch während des Studiums von seinen Eltern kein Geld bekam. Als er dann Bafög beantragte, stellte er fest, dass seine Eltern schon seit einigen Jahren für ihn Unterstützung nach dem Bundesversorgungsgesetz bezogen. »Ein paar Hundert Mark im Monat. Das bekam man ab dem 16. Lebensjahr, wenn man noch aufs Gymnasium ging. Davon habe ich nie auch nur einen Pfennig gesehen. Das war dann ein sehr tiefer Bruch.«
Auch ich erzähle an dem Abend von der Versöhnung mit meiner Mutter. Die war irgendwann deshalb möglich, weil sie so ausgesprochen
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