Die Gerechten
»Erzählen Sie nur.«
»Ich weiß, dass der Mann auf schreckliche Weise ermordet wurde. Aber der Leichnam sah aus, als hätte man ihn irgendwie, wissen Sie, zur Ruhe gebettet.«
Will nagte stumm am seinem Soft.
»Sehen Sie? Hab’s ja gesagt. Sie halten mich für verrückt. Vielleicht bin ich’s ja auch.«
Will dankte der Frau und ging weiter durch die schmuddeligen Straßen. Nach wenigen Blocks kam er in eine wirklich miese Gegend. Die mit Brettern vernagelten Mietshäuser hier, das wusste er, waren Crack-Höhlen. Junge Männer drückten einander unauffällig braune Päckchen in die hohle Hand und schauten dabei in eine andere Richtung. Das waren die Leute, die er nach Howard Macrae fragen musste.
Will hatte das Jackett inzwischen ausgezogen – es war ein warmer Septembertag –, aber trotzdem stieß er auf deutliche Ablehnung. Sein Gesicht war zu weiß, sein Akzent zu verschieden von dem, der hier gesprochen wurde. Die meisten hielten ihn für einen Polizisten in Zivil, von der Drogenfahndung wahrscheinlich; der Wagen, der ihm in einigem Abstand folgte, verstärkte diesen Eindruck vermutlieh noch. Die meisten Leute gingen weg, wenn sie sein Notizbuch sahen.
Der erste Fingerzeig kam wie immer – von einer einzigen Person.
Will fand einen Mann, der Macrae gekannt hatte. Der Mann wirkte ein bisschen verschlagen, aber vor allem gelangweilt, und anscheinend hatte er gerade nichts Besseres zu tun, als ein Weilchen mit einem Reporter zu plaudern, um sich die Zeit zu vertreiben. Er redete und redete und erzählte in allen Einzelheiten von längst vergangenen und völlig bedeutungslosen lokalen Auseinandersetzungen und Streitereien, als wären sie für die New York Times von brennendem Interesse. »Das müssen Sie mal in Ihre Zeitung schreiben, mein Freund«, sagte er immer wieder mit bronchitischem Raucherlachen. He-he-he. Leute wie ihn bei Laune halten zu müssen, dachte Will, gehörte vermutlich zu den Risiken seines Berufes.
»Okay, und was ist jetzt mit diesem Howard Macrae?«, fragte er, als sein neuer Bekannter in seiner Analyse des fehlerhaften Ampelsystems in der Fulton Street kurz Luft holen musste.
Es stellte sich heraus, dass er Macrae nicht besonders gut gekannt hatte, aber er kannte andere, bei denen das anders war, und er führte Will herum und machte ihn mit den Leuten bekannt. Immer, wenn er den Reporter jemandem vorstellte, lieferte er dazu ein unbezahlbares Charakterzeugnis: »Er ist okay.«
Nach einiger Zeit fügte sich ein Bild zusammen: Macrae war unzweifelhaft ein ausgewiesener Unterweltler gewesen. Er hatte ein Bordell geführt, schon seit Jahren, und in der halbseidenen Community hatte er anscheinend Hochachtung genossen: Anscheinend war er gut in seinem Beruf als Zuhälter. Sein Puff lief gut, und er hielt ihn in Ordnung – brachte sogar die Wäsche der Mädels in den Waschsalon. Will ließ sich das Etablissement zeigen, und er konnte immerhin sagen, dass es nicht annähernd so abscheulich aussah, wie er es sich vorgestellt hatte – eher vielleicht wie eine Klinik in einer ärmlichen Gegend. Auf dem Boden lagen keine Injektionsnadeln herum, und er sah sogar einen Trinkwasserkühler.
Die Nutten erzählten ihm alle die gleiche Geschichte: »Sir, da gibt’s nichts anderes zu sagen. Er hat Ficks verkauft. Das war sein Job. Er hat das Geld kassiert, hat uns bezahlt und den Rest behalten.«
Howard war mit seinem Zuhälterdasein anscheinend zufrieden. Das Bordell war sein Reich, und er war offenbar ein angenehmer Gastgeber gewesen. Nachts, erfuhr Will, hatte er laute Musik gemacht und dazu getanzt. Manchmal holte er seine Bongos heraus und trommelte mit. Howards Tanzen und Trommeln waren zum Markenzeichen des Ladens geworden.
Erst am späten Abend fand Will, was er den ganzen Tag gesucht hatte: Jemanden, der Howard Macraes Tod aufrichtig betrauerte. Will hatte das Bestattungsinstitut angerufen. Sie warteten darauf, dass der Leichnam vom Leichenschauhaus zu ihnen überstellt wurde. Will ließ sich hinfahren. Es war eine heruntergekommene Bude, deprimierend sogar nach den Maßstäben der Umgebung. Will fragte sich, wie viele dieser »Feld-Wald-und-Wiesen-Bandenmorde« sie wohl zu bearbeiten hatten.
Nur die Empfangssekretärin schien im Haus zu sein, eine junge Schwarze mit den längsten, am exotischsten lackierten Fingernägeln, die Will je gesehen hatte. Sie waren der einzige Farbtupfer im ganzen Laden.
Er fragte sie, ob jemand sich gemeldet habe, der die Beerdigung Howard Macraes
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