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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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übernehmen wollte. Irgendwelche Verwandten? Nein, niemand. Das Mädchen hatte den Eindruck, dass Macrae keine Verwandten hatte. Will schnalzte mit der Zunge. Er brauchte mehr persönliche Details, mehr Farbe, wenn aus diesem Stück etwas werden sollte.
    Er fragte eindringlicher nach. Hatte sich wirklich niemand wegen Mr. Macrae gemeldet? Überhaupt niemand? Ach, jetzt, wo Sie fragen, sagte das Fingernagelmädel. Endlich, dachte Will. Da war eine Frau, die hat gegen Mittag angerufen. Wollte wissen, wann die Beerdigung ist. Wollte ihm die letzte Ehre erweisen.
    Sie fand ein Post-it mit der Telefonnummer der Frau. Will rief sie auf der Stelle an. Als die Frau sich meldete, sagte er, er rufe aus dem Bestattungsinstitut an, und er wollte sich mit ihr über Howard Macrae unterhalten. Kommen Sie ruhig her, sagte sie.
    Im Wagen holte Will seinen Blackberry aus der Tasche und tippte eine kurze E-Mail an Beth. Seine ganze elektronische Kommunikation hatte einen festen Takt: Blackberry am Tag, wenn er wusste, dass seine Frau in der Nähe eines Computers war, und SMS in der Nacht, wenn sie es nicht war.
    Brauche kurze Psychologie-Lektion. Gleich Interview mit Frau, die das Mordopfer kannte. Hab ihr gesagt, ich bin von der Bestattungsfirma. Muss ihr jetzt die Wahrheit sagen: Wie mach ich das, ohne dass sie wütend wird und mich rausschmeißt? Brauche deine Meinung sofort, hab nur ein paar Minuten Zeit, xx W
    Zum Glück war Beth eine schnelle Mailerin. Sie dachte schnell, sie tippte schnell. Keine zwei Minuten später blinkte das rote »Antwort«-Lämpchen.
    Sie SOLLTE dich rausschmeißen. Du wirst ja im Eiltempo ein verlogener Drecksack von der Presse. Mein professioneller Rat? Sag ihr: »Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit, die Wahrheit über Howard Macrae ans Licht zu bringen.« Niemand hat etwas gegen »die Wahrheit« (außer dir). Und wenn ihr so viel an dem Kerl liegt, dass sie das Bestattungsinstitut angerufen hat, wird sie auch wollen, dass seine Geschichte wahrheitsgemäß erzählt wird. Aber ein Drecksack bist du trotzdem. B
    Es dämmerte schon, als Will an die Fliegentür klopfte. Eine Frau steckte den Kopf aus einem Fenster im ersten Stock. Anfang vierzig, schätzte Will. Schwarz, attraktiv. Ihr Haar war geglättet und hatte einen kastanienbraunen Schimmer. »Komme sofort.«
    Sie stellte sich als Letitia vor; ihren Nachnamen wollte sie nicht sagen.
    »Mein Name ist Will Monroe, und ich muss mich zuallererst entschuldigen.« Er plapperte los: Dies sei seine erste große Story, und er habe nur gelogen, weil er auf keinen Fall seinen Chef enttäuschen dürfe – aber dann sah er, dass sie ganz ungerührt war. Sie warf ihn nicht hinaus, sondern hörte ein bisschen ratlos zu. Er brach ab und lieferte einen vorgefertigten Spruch ab: »Hören Sie, Letitia, vielleicht ist dies die einzige Möglichkeit, die Wahrheit über Howard Macrae ans Licht zu bringen.« Aber er sah schon, dass das gar nicht notwendig war – im Gegenteil, Letitia war anscheinend froh über die Gelegenheit zum Reden.
    Sie führte ihn ins Wohnzimmer. Überall lagen Kinderspielsachen herum.
    »Waren Sie mit Howard verwandt?«
    »Nein.« Letitia lächelte. »Nein, ich bin dem Mann nur einmal begegnet. Aber das hat auch genügt.« Na also, dachte Will. Jetzt kommen endlich harte Fakten über diesen Macrae. Er war plötzlich aufgeregt: Vielleicht kannte Letitia ein finsteres Geheimnis über Macrae, das den Mord erklären könnte. Dann wäre er sogar der Polizei voraus.
    »Wann war das?«
    »Vor ungefähr zehn Jahren. Mein Mann – er kommt gleich nach Hause – war damals im Gefängnis.« Sie sah Wills Gesicht und fügte hastig hinzu: »Nein! Er hatte nichts verbrochen. Er war unschuldig. Aber wir konnten die Kaution für ihn nicht aufbringen. Er saß in dieser Zelle, Nacht für Nacht. Ich konnte es nicht ertragen. Ich war schließlich ganz verzweifelt.« Sie sah Will an, und in ihrem Blick lag die Hoffnung, er werde den Rest auch so verstehen und sie brauche es nicht vorzubuchstabieren.
    »Alle Welt weiß, dass es hier nur zwei Methoden gibt, schnell zu Geld zu kommen. Entweder Sie verkaufen Drogen, oder …«
    Jetzt hatte Will verstanden. »Oder Sie verkaufen … oder Sie gehen zu Howard.«
    »Genau. Ich hab mich selbst verabscheut, weil ich auch nur auf den Gedanken gekommen war. Ich bin als Chorsängerin in der Methodistenkirche aufgewachsen, Mr. Monroe.«
    »Will. Ich verstehe Sie.«
    »Ich wurde anständig erzogen. Aber ich musste meinen Mann

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