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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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gelassen hatte. Und kein Wunder, dass es keine Fotos gab, denn die hätten alles verraten.
    »Wissen sie denn wenigstens, dass du noch lebst?«
    »Ich telefoniere mit ihnen, vor den großen Festtagen. Aber gesehen hab ich sie nicht mehr, seit ich siebzehn war.«
    Alles an ihr ergab jetzt einen Sinn. Natürlich hatte sie einen brillanten Verstand, wusste aber nichts über Popmusik und Trash-TV: Sie war ohne all das aufgewachsen. Natürlich sprach sie kein Französisch oder Spanisch: Sie hatte ihre Zeit mit Jiddisch und Hebräisch verbracht.
    Er dachte plötzlich an ihre Essgewohnheiten – ihre Vorliebe für chinesisches Essen, Berge von Riesengarnelen, Frühstück mit Ei und großzügigen Portionen Speck. Sie liebte dieses Zeug. Wieso? »Der Eifer einer Konvertitin«, erklärte sie verschmitzt.
    Nachdem er jetzt selbst in Crown Heights gewesen war, wurde ihm klar, wie groß der Bruch mit ihrer Vergangenheit war. Er sah sie an: das enge Top, das die Form ihrer Brüste umschmiegte, den nackten Bauch, den Nabelring. Und er dachte an die Liste der Bekleidungsvorschriften, die er in Crown Heights gelesen hatte.
    Mädchen und Frauen, die sich unschicklich kleiden und damit die Aufmerksamkeit auf ihre körperliche Erscheinung lenken, bringen Schande auf ihr. Haupt.
    Ihr Bruch mit den Chassiden hätte vollständiger nicht sein können. Und dabei hatte er ihre größte Rebellion noch gar nicht bedacht: die Beziehung zu ihm.
    Die Leute in ihrer Welt hatten keinen außerehelichen Geschlechtsverkehr. Sie heirateten selten jemanden, der nicht zur chassidischen Gemeinde gehörte, und schon gar keine Nichtjuden. Aber sie hatte eine lange, intime Beziehung zu ihm gehabt – und er war weder ihr Ehemann noch Jude. Für ihn war es eine wunderbare Romanze gewesen, aber für sie, das war ihm jetzt klar, war es die Revolution.
    Plötzlich sah er TC mit anderen Augen. Er stellte sich vor, wie sie gewesen war: ein gescheites, fleißiges Mädchen aus Crown Heights, erzogen zu einem Leben der Bescheidenheit, der Mutterschaft und des pflichtbewussten Gehorsams. Was für eine Reise hatte sie da hinter sich gebracht, quer durch die Stadt und hinweg über Jahrhunderte der Tradition und des Tabus. Er stand auf, ging zu ihr und umarmte sie fest.
    »Es ist mir eine Ehre, dich kennen zu lernen, Tova Chaya.«

43
    SONNTAG, 18.46 UHR, BROOKLYN
    Am liebsten hätte er TC stundenlang ausgefragt: über ihr Leben und über das Geheimnis, das sie so lange bewahrt hatte. Viele Juden wurden irgendwann orthodox; man nannte sie chozer b’sche'ela, und das bedeutete wörtlich »einer, der zurückkehrt und Buße tut«. TC hatte den anderen Weg gewählt: chozer b’sche’ela. Sie kehrte zurück, um Fragen zu stellen.
    Aber für all das war jetzt keine Zeit, so sehr ihnen daran gelegen hätte. Sie mussten nach Crown Heights. Josef Jitzhok war ermordet worden, und sie wussten nicht, warum. Die letzte Nachricht, die Will bekommen hatte – die ihn zu der Atlas-Statue am Rockefeller Center geschickt hatte –, war nach JJs Tod abgeschickt worden, und das bewies, dass er nicht ihr Informant gewesen sein konnte. Warum also hatte jemand seinen Tod gewollt? Will war ratlos. Er wusste nur, dass die Sache immer bösartiger wurde. Der Rabbi hatte nicht gespaßt: Die Zeit wurde knapp.
    Auch das, was TC ihm versprochen hatte, drängte ihn zum Handeln. Es werde alles klar werden, hatte sie gesagt, sobald sie in Crown Heights wären. Sie selbst könne ihm nicht sagen, was da vor sich ging. Aber die Erklärung warte dort. Sie müssten nur hinfahren und sie finden.
    »Ich muss dein Bad benutzen. Und ich werde mir ein paar von Beths Kleidern ausborgen müssen.«
    »Na klar«, sagte Will und gab sich große Mühe, nicht weiter an die potentielle Symbolkraft dieser Bitte zu denken. Er führte sie zu Beths Kleiderschrank, holte tief Luft und öffnete die Schiebetür. Sofort drang ihm ihr Duft in die Nase. Er war sicher, dass er ihr Haar riechen konnte, den speziellen Duft der Haut unter ihrem Ohr. Er atmete tief durch die Nase ein und hatte auf einmal abgrundtiefe Angst um sie.
    TC nahm eine schlichte weiße Bluse heraus, die Beth zu offiziellen Arbeitsmeetings trug, meistens unter einem dunklen Hosenanzug. Sie war hochgeschlossen, sah Will. Wir bitten alle Frauen und Mädchen, ob sie hier wohnen oder nur zu Besuch weilen, sich zu jeder Zeit an die Gesetze der Schamhaftigkeit zu halten …
    TC drehte sich um. »Hat Beth einen langen Rock? Einen richtig langen Rock?«
    Will

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