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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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Vielleicht war es eine Tonbandaufnahme, vielleicht wurde sie auch live von draußen hereingespielt. Sie klang merkwürdig metallisch. Wie auch immer – der Apostel war nirgends zu sehen.
    »Das erste Volk Israel fürchtete sich vor deinem Wort. So fiel es anderen zu, den Bund mit dir zu erfüllen. Wie da geschrieben steht: ›Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja Abrahams Same und nach der Verheißung Erben.«‹
    Die Gemeinde antwortete: »Wir sind Christi und also Abrahams Same und nach der Verheißung Erben.«
    Will überlief es eiskalt. Das also war die Kirche des Wiedergeborenen Jesus in der Version des 21. Jahrhunderts. Und das war die Doktrin, die einmal seinen Vater und Townsend McDougal in ihren Bann geschlagen hatte – und wer weiß, wie viele andere außer ihnen. Die Männer in diesem Saal – und jetzt erkannte Will, dass es nur Männer waren – glaubten alle daran. Sie hatten den Platz der Juden im göttlichen Plan geerbt. Sie hatten die Lehren des Judentums als ihre eigenen übernommen.
    »Doch nun, o Herr, brauchen wir deine Hilfe. Wir bitten dich, führe uns. Wir sind fast am Ziel, aber das letzte Wissen fehlt uns noch.«
    Nummer sechsunddreißig, dachte Will.
    »Bitte führe uns zur Vollendung, auf dass Gottes Gericht auf diese umnachtete Erde regnen möge.«
    Wills Blick wanderte durch den Saal, als ein Mann in der vordersten Reihe sich umdrehte. Er sah Will und stutzte. Dann nahm er Blickkontakt mit jemandem auf und deutete mit dem Kopf auf Will.
    Will sah die Hand nicht, die seinen Hals packte, und er sah auch nicht, wer ihm den Tritt in die Kniekehle versetzte, der ihn einknicken ließ. Aber als er zu Boden ging, sah er den Mann, der über ihm stand. Seine Augen waren so blau, dass sie zu leuchten schienen.
     

61
    MONTAG, 17.46 UHR, MANHATTAN
    Er war wieder wach, das wusste er, aber es war immer noch dunkel. Er wollte die Hände zu den Augen heben, aber ein scharfer, stechender Schmerz durchzuckte seine Schulter. Seine Hände waren gefesselt. Arme, Beine und Bauch fühlten sich an, als habe man ihm eine Hautschicht entfernt und das rohe, rote Fleisch bloßgelegt.
    Er zuckte mit den Lidern und fühlte etwas an seiner Haut. Man hatte ihm die Augen verbunden. Er wollte sprechen, aber er hatte einen Knebel im Mund, und er fing an zu husten.
    »Nehmt ihn ab.« Eine feste Stimme voller Autorität. Will fing an zu würgen, als der Knebel fort war, und dann spuckte er ein paar Worte aus.
    »Wo bin ich?«
    »Das werden Sie schon sehen.«
    »Wo zum Teufel bin ich?«
    »Wagen Sie nicht, uns anzuschreien, Mr. Monroe. Ich habe gesagt, Sie werden es sehen.« Will hörte, dass außer dem Sprecher noch zwei oder drei andere Leute in der Nähe waren. »Bringt ihn jetzt fort.«
    »Wohin bringen Sie mich?«
    »Sie werden bekommen, was Sie wollten, als Sie herkamen. Anscheinend hat sich Ihre Lügerei bezahlt gemacht, Mr. Tom Mitchell vom Guardian. Sie werden Ihr großes Interview bekommen.«
    Er spürte eine schwere, flache Hand auf dem Rücken und wurde vorwärts geschoben. Er ging ein paar Schritte, und dann packten ihn zwei Hände bei den Schultern und drehten ihn nach rechts. Will spürte Teppichboden unter den Sohlen. War er noch im Kongressgebäude? Wie lange hatte man ihn verprügelt? Wie lange war er bewusstlos gewesen? Wenn es jetzt schon Nacht war? Dann war es zu spät. Jom Kippur wäre zu Ende. Im Dunkel der Augenbinde sah Will, wie das Himmelstor zuschlug.
    »Sir, er ist hier.«
    »Danke, Gentlemen.«
    »Lasst uns die Fesseln abnehmen.« Selbst jetzt klang es, als zitiere der Mann die Schrift. »Wir wollen Sie ansehen.« Will fühlte, wie sich Hände an seinen Handgelenken zu schaffen machten. Dann war er frei. Und endlich wurde ihm auch die Augenbinde abgenommen. Helles Licht flutete ihm entgegen. Gott sei Dank, dachte er. Es war noch Tag.
    »Gentlemen, lassen Sie uns bitte allein.«
    Vor ihm, an einem schlichten Hotelzimmerschreibtisch, saß der Mann, den Will schon gesehen hatte. Er strahlte den Glanz eines Großstadtvikars aus, ein wohlwollendes Gutmenschentum, wie Will es einst in der Christian Union in Oxford gesehen hatte.
    »Sind Sie der Apostel?« Will zuckte zusammen; das Sprechen ließ ein schmerzhaftes Vibrieren durch seine Wirbelsäule und seinen ganzen Körper schießen.
    »Ich hatte gehofft, Ihr Leiden werde nachlassen. Wir haben Ihre Wunden mit großer Sorgfalt verbunden.«
    Will sah erst jetzt, dass seine Arme und Beine und sogar seine Brust mit Pflastern und Verbänden bedeckt

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