Die Gerechten
informellen Netzwerk von gleich gesinnten Genies auf der ganzen Welt, die entschlossen waren, sich mit den Software-Giganten anzulegen, die die Computerwelt beherrschten, und sie vielleicht sogar umzulegen. Was sie Microsoft und seinesgleichen verübelten, war die Tatsache, dass diese Konzerne gegen das ursprüngliche, heilige Prinzip des Internets verstießen: dass es ein Werkzeug für den offenen Austausch von Ideen und Informationen sein sollte. »Offen« war das Schlüsselwort. Will war wie viele Journalisten auf Computer angewiesen, hatte aber nicht die leiseste Ahnung, wie sie funktionieren. In den Kindertagen des Netzes, erklärte Tom ihm – geduldig und in einfachen Worten –, war alles offen und für jedermann zugänglich gewesen. Das galt auch für die dazugehörige Software. »Open Source« nannte man sie, und das bedeutete, dass ihr internes Funktionieren für jedermann sieht- und nachvollziehbar war; jeder konnte sie verwenden und, was das Entscheidende war, nach Belieben verändern und adaptieren. Dann kamen Microsoft und seine Spießgesellen, und sie ließen aus rein kommerziellen Erwägungen die stählernen Blenden herunter. Ihre Software war »Closed Source«. Die langen Code-Reihen, die sie funktionieren ließen, waren der Öffentlichkeit verschlossen. Wie Coca-Cola ein Imperium auf einem Geheimrezept errichtet hatte, machte auch Microsoft aus seinen Produkten ein Geheimnis.
Will kümmerte das wenig, aber für Idealisten des Internets wie Tom kam das einer Entweihung gleich. Sie glaubten mit einem Eifer an das Internet, den Will nur als religiös empfinden konnte (was in Toms Fall besonders komisch war, denn er war ein militanter Atheist). Sie waren entschlossen, alternative Software zu schreiben – Suchmaschinen, Textprogramme –, die jedem, der sie benutzen wollte, unentgeltlich zur Verfugung stand. Wenn jemand einen Fehler darin entdeckte, konnte er eingreifen und ihn korrigieren. Schließlich gehörte sie allen, die sie benutzten.
Die Folge war, dass Tom nur einen Bruchteil des Geldes verdiente, das er hätte einheimsen können. Er verkaufte gerade so viel von seinem Computerverstand, dass es für die Miete reichte. Aber das war ihm gleich. Seine Prinzipien bedeuteten ihm mehr als alles andere.
»Tom, Will hier. Bist du zu Hause?«
Er hatte ihn auf dem Handy angerufen; Tom konnte überall sein. i »Nein.«
»Was ist das für eine Musik?« Er hörte im Hintergrund eine Stimme wie von einer Opernsängerin.
»Das, mein Freund, ist das Himmelfahrts-Oratorium von Johann Sebastian Bach mit Barbara Schlick, Sopran –«
»Wo bist du? In einem Konzert?«
»Im Plattenladen.«
»Bei dir um die Ecke?«
»Yep.«
»Kann ich dich in zwanzig Minuten bei dir zu Hause treffen? Es ist sehr dringend.« Er bereute sofort, was er gesagt hatte. Das Gespräch lief über das Mobilfunknetz.
»Alles okay? Du klingst irgendwie panisch.«
»Kannst du da sein? In zwanzig Minuten?«
»Ja.«
Toms Wohnung war eigenwillig, ein Spiegelbild seiner selbst. Im Kühlschrank gab es fast nichts außer Batterien von Mineralwasserflaschen – Zeugnis seiner eigenartigen Abneigung gegen jede Art von Getränken, ob kalt oder heiß. Tom trank weder Kaffee noch Saft noch Bier. Nur Wasser. Und das Bett stand im Wohnzimmer, ein Zugeständnis an seine Schlaflosigkeit: Wenn er nachts um drei aufwachte, wollte er sofort wieder online gehen und weiterarbeiten können, um ins Bett zu kippen, wenn er wieder müde war. Immer wieder veranlassten Will diese Schrullen zu einem Vortrag, in dem er seinen Freund dazu drängte, zur menschlichen Art zurückzukehren – oder wenigstens zu deren Abteilung Brooklyn. Aber heute war es anders.
Er kam herein und signalisierte Tom, er solle die Tür schließen.
»Hast du irgendwelche schrägen Gimmicks an deinem Computer – Mikrophone, Handys, Headsets, durch die das, was wir hier reden, auf irgendeine Weise, die ich nicht verstehe, ins Internet gelangen könnte?«
»Wie bitte? Wovon redest du?«
»Du weißt, was ich meine. Irgendwelchen Techie-Kram, für den ich keine Vokabeln habe. Gibt’s da irgendwas, das unser Gespräch aufzeichnen und als ›Audio-Datei‹ abspeichern könnte, ohne dass du es sofort merkst?«
»Ah – nein.« Toms Gesichtsausdruck fügte hinzu: Natürlich nicht, du Psychopath.
»Gut. Denn das, was wir besprechen werden, ist furchtbar und außerdem zu hundert Prozent geheim. Es darf niemals – ich wiederhole: niemals – irgendjemandem zu Ohren kommen. Schon gar
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