nicht der Polizei.«
Tom sah seinem Freund an, dass es ihm todernst war. Er war verzweifelt. Tom war immer blass, aber jetzt bekam sein Gesicht die Farbe von hellem Porzellan.
»Ist der eingeschaltet?« Will deutete auf einen der Computer auf dem Arbeitstisch, der am ehesten Ähnlichkeit mit seinem eigenen hatte. Es war eine dumme Frage. Waren Toms Computer jemals nicht eingeschaltet? »Ist das ein Browser?« So viel Internet-Vokabular brachte Will gerade noch zustande. Tom nickte erschrocken.
Will fragte nicht, ob Toms Computer sicher waren; er wusste, sie waren es mehr als bei jedem anderen. Verschlüsselung war Fontaines Spezialität.
Will gab seine Webmail-Adresse ein, und als die Seite aufgebaut war, tippte er seinen Namen und sein Passwort. Seine Posteingangsbox erschien. Er scrollte nach unten und klickte auf die erste Message.
RUFEN SIE NICHT DIE POLIZEI. WIR HABEN IHRE FRAU. ZIEHEN SIE DIE POLIZEI HINZU, UND SIE WERDEN SIE VERLIEREN. RUFEN SIE NICHT DIE POLIZEI, ODER SIE WERDEN ES BEREUEN. IN EWIGKEIT.
Tom stand hinter ihm, las über seine Schulter hinweg und hätte fast einen Satz rückwärts gemacht. Er stöhnte leise auf, als habe man ihn geschlagen. Erst jetzt fiel es Will ein: Tom war verrückt nach Beth – nicht auf der romantischen Ebene, er war kein Rivale, aber fast wie ein Kind wanderte Tom die paar Blocks zu ihnen nach Hause, um bei ihnen zu essen – eine Abwechslung zu den Sushi-Schachteln, die er vor seinen Monitoren verzehrte und die seine alltägliche Nahrung bildeten –, und Beths Aufmerksamkeit schien ebenso nahrhaft für ihn zu sein. Sie tadelte ihn wie eine große Schwester, und er ließ es sich gefallen; er trag sogar eine Zeit lang ein elegantes Jackett, das sie ihm kaufte, anstelle des Altmännermantels, der scheinbar an ihm festgewachsen war.
Daran hatte Will nicht gedacht: Beths Verschwinden war auch für Tom ein schwerer Schlag.
»O mein Gott«, sagte Tom leise. Will schwieg; er ließ ihm einen Augenblick Zeit, um den Schreck zu verdauen. Das nächste Stadium kürzte er ab, indem er die Schlussfolgerangen zusammenfasste, die er und sein Vater bisher gezogen hatten. Er zeigte Tom die zweite Mail, um zu verdeutlichten, dass die Kidnapper vor allem an Geheimhaltung und am Heraushalten der Polizei interessiert waren, und nicht an irgendeinem Lösegeld. Es gab dafür zwar keine Erklärung, aber die Polizei durfte auf keinen Fall etwas erfahren.
Tom nickte, und sein Blick verriet Angst und Schrecken. »Tom, du musst rausfinden, woher diese E-Mails kommen. Das würde die Polizei tun, und deshalb musst du es tun.«
Tom nickte, aber er rührte keinen Finger. Er war benommen.
»Tom, ich weiß, wie viel Beth dir bedeutet. Und du bedeutest ihr genauso viel. Aber was sie jetzt braucht, ist das Computergenie mit der laserscharfen Konzentration. Okay?« Will bemühte sich zu lächeln wie ein Vater, der seinen kleinen Sohn aufmuntert. »Du musst vergessen, worum es hier geht, und so tun, als wäre es eins von deinen Computerrätseln. Und du musst es knacken, so schnell du kannst.«
Ohne ein weiteres Wort tauschten die beiden ihre Plätze. Will ging auf und ab, und Tom fing an, auf der Tastatur zu klappern.
Das erste Resultat kam sofort. Die Hieroglyphen, die auf Wills Blackberry erschienen waren, sahen jetzt ganz anders aus.
»Ist das -?«
»Hebräisch«, sagte Tom. »Nicht jeder Rechner kann dieses Alphabet darstellen. Darum sah es bei dir so verrückt aus. Obskure Alphabete zu benutzen, ist ein alter Spammer-Trick.«
Jetzt sah Will noch etwas. Nach einer langen Reihe hebräischer Schriftzeichen sah er ein paar englische in Klammern. Auf seinem eigenen Computer waren sie gar nicht aufgetaucht, aber hier waren sie sichtbar, und sie bildeten eine normale E-Mail-Adresse:
[email protected] .
»Golem.net? Heißen sie so?«
»Anscheinend.«
»Ist das nicht was aus dem Herrn der Ringe?«
»Soll das ein Witz sein? Das ist Gollum. Mit zwei l.«
Plötzlich war der Bildschirm schwarz, und nur oben links blinkten ein paar Zeichen. War das System abgestürzt?
Tom sah Wills Gesicht. »Oh, keine Angst. Das ist nur eine ›Shell‹. Damit lassen sich Befehle schneller eingeben als über das GUI.«
Will machte ein verständnisloses Gesicht.
»GUI ist das »Graphical User Interfaces Der Desktop bei Windows, der dir alles so darstellt, dass du es verstehst.« Tom wusste, dass er für Will in einer fremden Sprache redete, aber er spürte deutlich, dass sein Freund etwas von ihm hören