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Die Gerechten

Die Gerechten

Titel: Die Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bourne
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kommt aus Crown Heights. Das ist nur zufällig die größte chassidische Gemeinde in Amerika.«
    Der rote Stern starrte sie an, ohne zu blinken. Er sah aus wie das X auf einer Schatzkarte, wie sie in Wills Jungenträumen vorgekommen war. Was mochte darunter liegen?
    »Trotz des Ortes ist es doch möglich, dass sie nicht von denen kommt.«
    »Herrgott, Tom, der Absender war hebräisch.«
    »Ja, aber das kann eine Tarnung sein. Der richtige Name war golem.net.«
    »Sieh nach.«
    Tom tippte auf der Google-Seite goletn ein und klickte auf das erste Suchergebnis. Eine Website mit jüdischen Kinderlegenden erschien. Sie enthielt die Geschichte von Rabbi Loew in Prag, der mit einem Zauberspruch aus der Kabbala, der uralten jüdischen Mystik, ein Wesen aus Lehm formte, einen großen, schwerfälligen Riesen, den er Golem nannte. Will scrollte zum Ende hinunter: Die Geschichte fand ihren Höhepunkt in Gewalt und Zerstörung, als der Golem Amok lief. Anscheinend war er der chassidische Vorläufer des Frankenstein’sehen Ungeheuers.
    »Also gut«, sagte er. »Ich gebe zu, anscheinend sind sie es. Aber es ergibt keinen Sinn. Warum um alles in der Welt sollen diese Leute Beth entführen?«
    »Wir wissen nicht, ob es ›diese Leute‹ sind. Könnte ein einzelner Irrer sein, der zufällig Chasside ist.« Will griff nach seiner Jacke.
    »Was hast du vor?«
    »Ich fahre da hin.«
    »Bist du verrückt geworden?«
    »Ich bin Reporter. Ich werde mich umhören. Mal sehen, wer da etwas zu sagen hat.«
    »Du spinnst. Warum sagst du nicht einfach der Polizei, dass du die Mail zurückverfolgt hast? Sollen die sich drum kümmern.«
    »Was – um sicherzugehen, dass diese Irren Beth umbringen? Ich fahre selbst hin.«
    »Du kannst da nicht einfach reinstürmen mit deinem Notizbuch und deinem englischen Akzent. Genauso gut könntest du dir ein Schild um den Hals hängen.«
    »Mir fällt schon was ein.« Will sagte es nicht, aber er fand, er wurde allmählich ziemlich gut als Amateurdetektiv. Seine Triumphe in Brownsville und Montana hatten ihn zuversichtlich gemacht. In beiden Fällen hatte er eine verborgene Wahrheit ans Licht gebracht. Und jetzt würde er seine Frau finden.

15
    FREITAG, 16.10 UHR, CROWN HEIGHTS, BROOKLYN
    Seine erste Reaktion war Verwirrung. Er kam in der Sterling Street aus der U-Bahn und hatte zunächst das Gefühl, in einem Schwarzenviertel gelandet zu sein: An den Zeitungsständen hingen Ebony, Vibe und Black Hair, jede zweite Wand war mit Graffiti besprüht, und überall standen Gruppen von jungen Schwarzen in schlabbriger Combat-Kleidung und tranken aus Flaschen, die in braunen Papiertüten steckten.
    Aber als er die New York Avenue überquert hatte, schlug sein Reporterpuls schneller; er spürte, dass er der Story näher kam. Auf Schildern erschienen hebräische Schriftzeichen. Manche Wörter waren englisch geschrieben, aber ihre Bedeutung war nicht weniger undurchsichtig: Chazak V'Ematz!, lautete die rätselhafte Verheißung auf einem davon. Ein anderes Wort erschien mehrmals – auf Autoaufklebern, Plakaten, sogar auf Zetteln an Laternenpfählen, auf denen sonst nach entlaufenen Katzen gesucht wurde. Bald erkannte Will das Wort wieder, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie es ausgesprochen wurde: Moschiach.
    Er begegnete einem Schwarzen, der so groß war wie ein Kleiderschrank; er hielt ein kleines Mädchen an der einen Hand und eine Zigarette in der anderen. Will war wieder verwirrt. Er war jetzt auf dem Empire Boulevard und sah indische Restaurants und Vans, die mit den Nationalfarben von Trinidad und Tobago bemalt waren. War er jetzt in einem chassidischen Viertel oder nicht?
    Er bog in die Wohnstraßen ein. Die Häuser waren große Brownstones oder aus festen roten Ziegeln gebaut, als wären sie in einem Brooklyn längst vergangener Zeiten vornehme Domizile gewesen.
    Zu jeder Haustür führten ein paar Stufen hinauf, und rechts und links neben der Tür war eine kleine Veranda. In anderen amerikanischen Häusern, dachte Will, wäre eine solche Veranda mit einem Schaukelstuhl ausgestattet gewesen, vielleicht mit ein paar Laternen, an Halloween ganz sicher mit einem ausgehöhlten Kürbis und nicht selten auch mit einer amerikanischen Flagge. In Crown Heights wirkten sie eher unbenutzt, aber selbst hier entdeckte Will dieses Wort. Moschiach. Er sah es auf Aufklebern an den Fenstern und einmal auch auf einer gelben Fahne mit dem Bild einer Krone; Will vermutete, dass es sich um ein lokales Symbol handelte. Er drängte

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