Die Germanin
Betrug, nichts weiter. Denn Germanicus hatte nur einige Schlachten gewonnen, den Krieg aber verloren. Von Agrippina angestachelt, wollte er zwar weitermachen, aber der Caesar hatte genug von den germanischen Ungelegenheiten, er befahl den Rückzug. Womit der römische Traum von der Provinz Germanien endete. Und dieser verblichene Traum – es war auch der deines Vaters! Ist es nicht so? Wie schrecklich, wie tragisch! Und nun lud man ihn auch noch ein… das heißt, man nötigte ihn, als Ehrengast an diesem ›Triumph‹ teilzunehmen. Ich erinnere mich genau, wie er da auf der Tribüne saß – düster und fahl, so als wohnte er einer Beerdigung bei. Und es war ja auch eine: die Beerdigung aller seiner Wünsche und Hoffnungen. Und dazu musste er noch mit ansehen, wie seine Tochter, sein Sohn, sein Enkel und seine anderen Verwandten dem römischen Pöbel vorgeführt wurden. Kannst du dir vorstellen, wie ihm zumute war?«
»Konnte er sich vorstellen, wie mir zumute war?«, erwiderte Nelda mit harter Betonung.
»Ich glaube, er konnte es«, versicherte Gaius Sempronius. »Und er war sich schon an jenem Tag darüber im Klaren, wie groß seine Schuld war. Er hatte dich entfuhren lassen, auf seinen Hof gebracht, ausgeliefert. Statt dich aber zu retten – was immer er darunter verstand –, hat er dich und deinen Sohn zu Sklaven gemacht. Damit wurde er nicht fertig. Zuletzt, als ich ihn besuchte, klagte er, dass ihn Schlaflosigkeit plage, dass er von Rachedämonen bedrängt werde. Und zum Abschied sagte er: ›Wenn sie mir doch verzeihen könnte! Ein Wort von ihr würde mir ein wenig Frieden geben!‹ Willst du ihm nicht einen Brief schreiben, den ich mitnehmen und ihm vorlesen könnte? Bedenke, er ist ein sehr alter Mann, er hat nicht mehr lange zu leben. Nur ein paar versöhnliche Worte…«
»Nein«, sagte Nelda entschieden. »Mitleid verdient er nicht und ich zweifle daran, dass er bereut. Er grämt sich nur, weil es so gekommen ist. Es ärgert ihn, dass er Unrecht hatte. Und sein Alter wird auch sein Wesen nicht ändern. Was aus mir geworden ist, das habe ich seinem Starrsinn, seiner Selbstsucht und seiner Hartherzigkeit zu verdanken. Sechs glückliche Jahre hat er mir schon geraubt. Ich hätte sie mit dem Mann, den ich liebe, und unserem Kind verbringen können. Arminius hat seinen Sohn nie gesehen – er weiß vielleicht nicht einmal, dass es ihn gibt!«
»Er wird es schon wissen. Sie sind zwar nun wieder unter sich, doch vollständig ist die Tür nicht zugeschlagen. Es gibt einen regen Grenzverkehr. Der Negotiator, den ich besuchen werde, treibt immer noch Handel mit ihnen. Aber setzen wir uns doch…«
Gaius führte Nelda zu einer Bank, neben der das sprühende Wasser eines Springbrunnens die Hitze milderte. Das Peristyl war nur schmal, hinter einer Hecke begannen gleich die Gemüsefelder.
»Ich achte deine Empfindungen Nelda«, begann Gaius aufs Neue. »Aber glaubst du wirklich, dass dein Vater dir sechs ›glückliche‹ Jahre geraubt hat? In einem Land, in dem, auch nachdem Rom es aufgegeben hatte, Ströme von Blut flossen?«
»Ja, das war wohl so«, sagte sie und blickte auf ihre im Schoß gefalteten Hände. »Du hast mir ja manchmal davon erzählt. Wie traurig.«
»Tiberius wusste es vorher, er kannte sich bei euch aus. Als er Germanicus abberief, sagte er, Rom sei nach dessen Siegen gerächt. Nun könne man die Cherusker und die übrigen unbotmäßigen Stämme ihren inneren Zwistigkeiten überlassen. Und so ist es gekommen. Kaum waren die Römer verschwunden, schlugen sie aufeinander ein. Dein Arminius sammelte seine Scharen und rückte gegen Marbod vor, der ihn vorher im Stich gelassen hatte. Es muss ein fürchterliches Gemetzel gewesen sein, mit Tausenden Toten. Übrigens… hatte ich dir erzählt, dass sein Onkel Inguiomer dabei zu Marbod überging? Ja, so wankelmütig sind sie! Inzwischen wurde Marbod vertrieben, von einem gewissen Catualda, und auch der wurde wieder vertrieben. Marbod bat bei uns um Asyl, der Caesar gewährte es ihm und er sitzt nun in Ravenna. Die germanischen Wirren gehen ohne ihn weiter. Es heißt noch immer, Arminius strebe das Königtum an…«
»Wenn er es schafft, wird er Frieden mit euch machen und ich werde frei sein und zurückkehren können!«, sagte Nelda trotzig und überzeugt.
»Mag sein«, erwiderte Gaius mit einer Miene, die Zweifel ausdrückte, »und du weißt, wie herzlich ich dir das wünsche. Aber er könnte zu mächtig werden, sowohl für uns als auch für
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